Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
a) Grundzüge des Bußgeldverfahrens
Rz. 84
Gem. § 81 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 Nr. 1 GWB handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB eine Vereinbarung trifft, einen Beschluss fasst oder Verhaltensweisen aufeinander abstimmt.
Gem. § 81c Abs. 1 GWB kann diese Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 1 Mio. EUR geahndet werden. Richtet sich die Geldbuße gegen Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, kann über diesen Betrag hinaus die Geldbuße auch höher festgesetzt werden. Sie darf dann aber für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede beteiligte Unternehmensvereinigung 10 % seines bzw. ihres jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen. Der wirtschaftliche Vorteil, der aus der Ordnungswidrigkeit gezogen wurde, kann durch die Geldbuße abgeschöpft werden. Dient die Geldbuße allein der Ahndung, ist dies bei der Zumessung entsprechend zu berücksichtigen.
Rz. 85
Die Verjährung beträgt gem. § 81 Abs. 8 Satz 2 GWB fünf Jahre.
Rz. 86
Auch das Unionsrecht sieht ein Bußgeldverfahren vor. Gem. Art. 23 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a) Var. 1 VO 1/2003 kann die Kommission gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 101 AEUV verstoßen. Gem. Art. 23 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003 darf die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede beteiligte Unternehmensvereinigung 10 % seines bzw. ihres jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen. Steht die Zuwiderhandlung einer Unternehmensvereinigung mit der Tätigkeit ihrer Mitglieder im Zusammenhang, darf die Geldbuße 10 % der Summe der Gesamtumsätze derjenigen Mitglieder, die auf dem Markt tätig waren, auf dem sich die Zuwiderhandlung der Vereinigung auswirkte, nicht übersteigen.
Rz. 87
Gem. Art. 23 Abs. 3 VO 1/2003 sind bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße die Schwere und die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen. Bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung sind insb. die Art der Wettbewerbsbeschränkungen, die Anzahl und Bedeutung der beteiligten Unternehmen, der von ihnen in der Union jeweils kontrollierte Marktanteil sowie die Marktlage zur Zeit der Tatbegehung zu berücksichtigen. Ferner muss die Kommission bei der Beteiligung mehrerer Unternehmen die Rolle berücksichtigen, die jedes Unternehmen bei der Zuwiderhandlung gespielt hat. Bei der Bestimmung der Dauer und Schwere wird überdies angenommen, dass ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV sich nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch aus einer Reihe von Handlungen oder einem fortgesetzten Verhalten ergeben kann. Fügen sich die verschiedenen Handlungen wegen ihres identischen Zwecks der Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes in einen "Gesamtplan" ein, kann die Verantwortung für diese Handlungen anhand der Beteiligung an der Zuwiderhandlung als Ganzes auferlegt werden.
Rz. 88
Die Bußgeldleitlinien der Kommission sehen vor, dass Geldbußen grds. auf bis zu 30 % des Jahresumsatzes des Unternehmens festgesetzt werden, der von der Zuwiderhandlung betroffen ist, multipliziert mit der Anzahl der Jahre, in denen das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war. Darüber hinaus kann ein Betrag zwischen 15 % und 25 % des betroffenen Umsatzes unabhängig von der Dauer der Zuwiderhandlung verhängt werden ("Eintrittsgebühr"). Für Wiederholungstäter gelten höhere Geldbußen. Das so errechnete Bußgeld wird bei 10 % des Gesamtumsatzes des Unternehmens ggf. gekappt.
Das BKartA hat diese Leitlinien zunächst grds. nachgebildet, im Juni 2013 jedoch neue Leitlinien zur Bußgeldbemessung veröffentlicht. Damit wurde der Grauzementkartell-Entscheidung des BGH Rechnung getragen, in der die Grenze von 10 % als Obergrenze eines Sanktionsrahmens ausgelegt wurde. 2021 hat das BKartA abermals überarbeitete Bußgeldleitlinien vorgelegt.
Rz. 89
Nach den Leitlinien der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen kann sich eine Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen mit der Kommission unter bestimmten Umständen bußgeldmindernd auswirken oder sogar dazu führen, dass von der Verhängung eines Bußgeldes vollständig abgesehen wird. Hiernach gewährt die Kommission einen vollständigen Erlass der Geldbuße dem ersten Unternehmen, das der Kommission Informationen und Beweismittel vorlegt, die es der Kommission ihrer Auffassung nach ermöglichen, entweder gezielte Nachprüfungen im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Kartell durchzuführen oder im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Kartell eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festzustellen, wenn die Kommission bereits über Informationen zur Einleitung von Ermittlungen verfügt, das Kartell aber nicht nachweisen kann. Praktische Hinweise der Kommission zur Anwendung dieser Leitlinien sind in den Frequently Asked Questions on Leniency aus Oktober 2022 zusammengefasst.