Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
Rz. 23
Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen sind nur dann verboten, wenn sie eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Wie erwähnt definieren weder Art. 101 AEUV noch § 1 GWB den Begriff des Wettbewerbs. Als Grundsatz kann davon ausgegangen werden, dass eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, wenn die wirtschaftliche Handlungsfreiheit eines Adressaten des Kartellverbots beschränkt wird. Das ist z.B. bei Vereinbarungen über Preise und Konditionen sowie bei Kunden- und Gebietsaufteilungen der Fall. Auch Vereinbarungen über den technologischen Fortschritt können hierunter fallen.
Wesentliches Element der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit ist die Selbstständigkeit unternehmerischen Handelns. Dieses Selbstständigkeitspostulat bedeutet nicht, dass sich ein Unternehmen nicht dem festgestellten oder erwarteten Verhalten seiner Mitbewerber anpassen kann und darf; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines gegenwärtigen oder potenziellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über das Marktverhalten ins Bild zu setzen, zu dem man sich selbst entschlossen hat oder das man in Erwägung zieht.
Rz. 24
Der letzte Teil der Definition verdeutlicht, dass auch der Geheimwettbewerb geschützt ist. Dies bedeutet, dass bereits die Weitergabe von bestimmten Informationen den Tatbestand der Wettbewerbsbeschränkung erfüllen kann. Das gilt vor allem, aber nicht nur für sog. Marktinformationssysteme. Sie sind kartellrechtlich lediglich dann unbedenklich, wenn sie sich auf die Mitteilung von Durchschnittspreisen und -werten beschränken und Rückschlüsse auf einzelne Geschäfte und/oder Kunden bzw. Lieferanten ausgeschlossen sind. Der Rückschluss auf diese Informationen darf auch nicht mittelbar möglich sein. Unzulässig ist ein Informationsaustausch in jedem Fall, wenn er zur Verstärkung und Kontrolle eines unzulässigen Kartells dient.
Rz. 25
Verboten sind sowohl horizontale Wettbewerbsbeschränkungen, bei denen der Wettbewerb zwischen Unternehmen beschränkt wird, die auf einer Wirtschaftsstufe miteinander konkurrieren, als auch vertikale Wettbewerbsbeschränkungen. Letztere sind dadurch gekennzeichnet, dass die Vereinbarungen sich nicht auf den zwischen den Beteiligten bestehenden Wettbewerb beziehen, sondern die wettbewerbliche Handlungsfreiheit der beteiligten Unternehmen im Verhältnis zu Dritten beschränkt wird.
Beispiele
Die Lieferanten L, M, N und O vereinbaren, ein bestimmtes Gut künftig zu einem bestimmten Preis zu verkaufen und diesen nicht zu unterschreiten. Damit wird der Wettbewerb zwischen den Lieferanten um mögliche Abnehmer eingeschränkt (horizontale Wettbewerbsbeschränkung).
Lieferant L vereinbart mit Abnehmer A, dass dieser nur von L Waren bezieht, nicht von den anderen Lieferanten K, M und N. Somit wird durch die Vereinbarung zwischen A und L der Wettbewerb zwischen L, K, M und N um Abnehmer A beschränkt (vertikale Wettbewerbsbeschränkung).
Rz. 26
Neben diesem Beispiel der Ausschließlichkeitsbindungen sind die wichtigsten Beispiele für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen die sog. Vertriebsbindungen. Bei ihnen wird die Freiheit eines Vertragsbeteiligten beschränkt, die gelieferten Waren an Dritte abzugeben (z.B. Fachhandelsbindung, Quer- oder Sprunglieferungsverbote, selektiver Vertrieb). Der selektive Vertrieb zeichnet sich dadurch aus, dass der Hersteller seine Erzeugnisse auf den einzelnen Handelsstufen nur über ausgewählte Wiederverkäufer absetzt.
Als vertikale Wettbewerbsbeschränkungen werden insb. auch Preisbindungen zwischen Unternehmen auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen erfasst. Eine vertikale Preisbindung liegt vor, wenn der Abnehmer in seiner Freiheit beschränkt wird, die Abgabepreise der Ware oder Dienstleistung selbstständig festzulegen. Das BKartA hat Hinweise zu entsprechenden Verhaltensweisen (z.B. Vereinbarung von Fest- oder Mindestpreisen, Aussprechen von unverbindlichen Preisempfehlungen – UVP, Datenaustausch zwischen Händlern und Herstellern) veröffentlicht, um den Unternehmen einen Leitfaden an die Hand zu geben, wie sie die Kommunikation in ihren Geschäftsbeziehungen im Einklang mit dem Kartellrecht gestalten können.
Rz. 27
Beispiele
Vom Kartellverbot erfasst ist die unmittelbare Festlegung von Ladenverkaufspreisen durch den Hersteller, nicht dagegen die Übernahme der vom Hersteller vorgeschlagenen UVP als Ladenpreis, wenn der Händler diesen nach interner Beratung und ohne Rücksprache mit dem Hersteller eigenständig festlegt.
Rz. 28
Die Kommission hat am 10.5.2017 ihren Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel veröffentlicht. Darin stellte die Kommission die wachsende Bedeutung des elektronischen Handels fest, der einen wichtigen Faktor für Preistransparenz und Preiswettbewerb darstellt. Durch den zunehmenden Direktvertrieb der Hersteller müssten sich viele Einzelhänd...