Dr. Thilo Klingbeil, Dr. iur. Simon Kohm
Rz. 69
In der materiell-rechtlichen Prüfung hat die Kartellbehörde darüber zu befinden, ob zu erwarten ist, dass durch den Zusammenschluss wirksamer Wettbewerb erheblich behindert wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn zu erwarten ist, dass eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird. Kommt die Kartellbehörde zu dem Ergebnis, hat sie den Zusammenschluss zu untersagen, wenn die beteiligten Unternehmen nicht nachweisen, dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und dass diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen (§ 36 Abs. 1 S. 2 GWB). Die Behörde hat dazu eine Prognose für die Marktstruktur unter Einbeziehung der zu erwartenden Entwicklung zu treffen.
Nach der Bagatellmarktklausel ist der Zusammenschluss auch dann nicht zu untersagen, wenn sich die Untersagungsvoraussetzungen ausschließlich auf Märkten ergeben, auf denen seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf denen im letzten Kalenderjahr im Inland insgesamt weniger als 20 Mio. EUR umgesetzt worden sind (§ 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB), wobei dies nicht für Märkte gilt, auf denen Leistungen unentgeltlich erbracht werden (z.B. Internetmärkte; § 18 Abs. 2a GWB), oder wenn der Transaktionswert über 400 Mio. EUR liegt (§ 35 Abs. 1a GWB). Bei Zeitungsfusionen gelten Erleichterungen, wenn kleine oder mittlere Zeitungsverlage übernommen werden (§ 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 GWB).
Die erforderliche Bestimmung des relevanten Marktes ist in sachlicher, räumlicher und (ggf.) zeitlicher Hinsicht vorzunehmen. Der sachlich relevante Markt ist aus Sicht der Marktgegenseite festzulegen. Maßgeblich sind bei Angebotsmärkten alle Produkte (oder Dienstleistungen), die aus Sicht der Marktgegenseite zur Deckung eines bestimmten Bedarfes austauschbar sind (Bedarfsmarktkonzept). Bestimmende Faktoren sind nach objektiven Maßstäben Eigenschaft, Verwendungszweck und Preislage der Produkte. Es sind nicht austauschbare Produkte hinzuzuzählen, wenn der Anbieter bereit und in der Lage ist, zur Erzielung eines besseren Preises seine Produktion kurzfristig auf die Marktprodukte umzustellen (Angebotsumstellungsflexibilität). § 18 Abs. 2a GWB stellt klar, dass der Annahme eines Marktes nicht entgegensteht, dass eine Leistung unentgeltlich angeboten wird. Damit hatte der Gesetzgeber vor allem Anbieter werbefinanzierter digitaler Dienste im Blick. Der räumlich relevante Markt ist durch die tatsächlichen räumlichen Ausweichmöglichkeiten begrenzt; seine Bestimmung erfolgt nach ökonomischen Kriterien und ist nicht auf den deutschen Markt beschränkt (§ 18 Abs. 2 GWB). Zeitlich beschränkte Märkte liegen vor, wenn das Angebot (oder die Nachfrage) nur für eine begrenzte Zeit besteht.
Bei der Prüfung der Begründung einer marktbeherrschenden Stellung wird sodann untersucht, ob nach dem Zusammenschluss eine der allein auf die Marktanteile abstellenden Vermutungsregeln nach § 18 Abs. 4 und 6 GWB erfüllt ist. Danach ist die Marktbeherrschung eines Unternehmens bei einem Marktanteil von 40 % anzunehmen. Eine Gesamtheit von Unternehmen und damit jedes einzelne Unternehmen gilt als marktbeherrschend, wenn sie aus drei oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen Marktanteile von 50 % erreichen, oder wenn sie aus fünf oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen einen Anteil von zwei Dritteln erreichen; diese Vermutung kann durch den Nachweis widerlegt werden, dass die Wettbewerbsbedingungen auch nach dem Zusammenschluss zwischen den Unternehmen wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen oder die Unternehmen im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung haben.
Ist keine der Vermutungen zu bejahen, ist die Begründung einer marktbeherrschenden Stellung der beteiligten Unternehmen anhand der Wettbewerbsverhältnisse zu untersuchen. Eine Marktbeherrschung liegt vor, wenn das Unternehmen ohne Wettbewerber ist, es keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder es eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Stellung im Markt hat. Ergibt sich dies infolge des Zusammenschlusses für zwei oder mehr Unternehmen zusammen und besteht zwischen diesen für eine bestimmte Art von Waren oder Leistungen kein wesentlicher Wettbewerb, so gelten diese ebenfalls als marktbeherrschend.
Eine marktbeherrschende Stellung wird verstärkt, wenn die Chancen gegenwärtigen und zukünftigen Wettbewerbs auf einem Markt weiter verschlechtert werden. Dabei kommt es nicht in erster Linie auf Marktanteile und Marktstrukturdaten an. Maßgeblich ist vielmehr, ob das marktmächtige Unternehmen seinen bereits bestehenden und nicht kontrollierten Verhaltensspielraum erweitert, aus Sicht der Wettbewerber Abschreckungswirkungen erzielt und damit ein funktionsfähiger Wettbewerb noch weniger wahrscheinlich wird.
Das Bundeskartellamt prüft anhand der nachfolgend genannten unternehmens- und marktbezogenen Wettbewerbsbedingungen, ob ein Unternehmen auf dem relevan...