Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
Rz. 157
Ein Zusammenschluss, der der EU-Fusionskontrolle unterliegt, darf gem. Art. 7 Abs. 1 FKVO nicht vollzogen werden, bevor er von der Kommission freigegeben wurde. Dieses "Vollzugsverbot", das es in ähnlicher Form auch in den meisten nationalen Fusionskontrollordnungen gibt, ist für die zeitliche Planung eines Unternehmenskaufs von erheblicher Bedeutung, weil es den Vollzug (z.B. das "Closing") eines anmeldepflichtigen Zusammenschlusses vom Vorliegen der Freigabe abhängig macht.
Rz. 158
Das Vollzugsverbot erfasst sämtliche Handlungen, die für die Umsetzung des Zusammenschlusses konstitutiv sind. Verboten ist danach z.B. die sachenrechtliche Übertragung von Geschäftsanteilen, die Einflussnahme auf die Geschäftsführung des Zielunternehmens oder die Vornahme von Registereintragungen. Zulässig sind bloße Vorbereitungshandlungen, wie z.B. der Abschluss obligatorischer Vereinbarungen. Auch die Vereinbarung bestimmter Berichtspflichten und Grundregeln für die Führung des Zielunternehmens in der Übergangszeit zwischen Vertragsschluss und Vollzug ist i.d.R. zulässig, solange diese Regelungen ausschließlich dem Werterhalt des Zielunternehmens dienen.
In der Praxis wird meist auch die Zahlung des Kaufpreises vor Freigabe als zulässig angesehen. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn nach den Gesamtumständen davon auszugehen ist, dass der Erwerber durch Zahlung des Kaufpreises faktisch bereits einen kontrollierenden Einfluss über das Zielunternehmen erwirbt, während der Veräußerer nur noch die Funktion eines "Treuhänders" hat.
Rz. 159
Vom Vollzugsverbot ausgenommen sind nach Art. 7 Abs. 2 FKVO öffentliche Übernahmeangebote und sog. "schleichende Übernahmen" (Kontrollerwerb durch eine Reihe von Wertpapiergeschäften), wenn sie unverzüglich bei der Kommission angemeldet werden und der Erwerber die mit den erworbenen Anteilen verbundenen Stimmrechte nicht ausübt. Auf Antrag kann die Kommission dem Erwerber in solchen Fällen gestatten, seine Stimmrechte zum Zwecke des Werterhalts seiner Investition auszuüben.
Rz. 160
In Ausnahmefällen kann die Kommission auf Antrag gem. Art. 7 Abs. 3 FKVO eine Befreiung vom Vollzugsverbot erteilen, insb. wenn dadurch schwerer Schaden von einem der beteiligten Unternehmen abgewendet wird. In der Praxis ist die Kommission bei der Erteilung solcher Befreiungen sehr zurückhaltend und gewährt eine Befreiung – wenn überhaupt – nur nach eingehender Prüfung und häufig nur gegen weitreichende Auflagen.
Rz. 161
Der Verstoß gegen das Vollzugsverbot führt zur (schwebenden) Unwirksamkeit der Vollzugsakte. Etwas anderes gilt gem. Art. 7 Abs. 4 FKVO nur für Geschäfte mit Wertpapieren, einschließlich solcher, die in andere Wertpapiere konvertierbar sind, wenn diese Wertpapiere zum Handel an einer Börse oder an einem ähnlichen Markt zugelassen sind, es sei denn, Käufer und Verkäufer wussten oder hätten wissen müssen, dass das betreffende Rechtsgeschäft unter Missachtung des fusionskontrollrechtlichen Vollzugsverbots geschlossen wurde.
Abgesehen von diesen zivilrechtlichen Folgen kann die Kommission für einen vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen das Vollzugsverbot gem. Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) FKVO Geldbußen i.H.v. bis zu 10 % des von den beteiligten Unternehmen erzielten Gesamtumsatzes verhängen.
Hinweis
In der Praxis wird dem fusionskontrollrechtlichen Vollzugsverbot meist mit der Aufnahme sog. "Kartellvorbehalte" in den Unternehmenskaufvertrag Rechnung getragen. Mit diesen Klauseln wird der Vollzug des Unternehmenskaufs (z.B. die Anteilsübertragung) unter die aufschiebende Bedingung gestellt, dass die Freigabe durch die Kommission (und ggf. andere zuständige Kartellbehörden) erteilt wird. Alternativ kann auch die Durchführung des vertraglich vorgesehenen "Closing" an die Voraussetzung geknüpft werden, dass die erforderlichen fusionskontrollrechtlichen Genehmigungen vorliegen.
Rz. 162
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Muster 26.2: Kartellvorbehalt Unternehmenskauf unter EU-Fusionskontrolle
Der Erwerb wird erst wirksam (aufschiebende Bedingung), wenn
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die Kommission in Bezug auf diesen Erwerb gem. Art. 7 Abs. 3 VO 139/2004 eine Freistellung vom Vollzugsverbot erteilt hat, |
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der Erwerb von der Kommission gem. Art. 6 Abs. 1 Buchst. b) VO 139/2004 für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wurde, |
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der Erwerb von der Kommission gem. Art. 8 Abs. 1 oder Art. 8 Abs. 2 VO 139/2004 für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wurde oder |
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die Vereinbarkeitsfiktion gem. Art. 10 Abs. 6 VO 139/2004 (Fristablauf) eingetreten ist. |