Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
Rz. 182
Im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen dürfen auch "Nebenabreden" wie z.B. Wettbewerbs- oder Abwerbeverbote, Vertraulichkeitsverpflichtungen, Lizenzverträge, Liefer- und/oder Bezugsverpflichtungen getroffen werden, die aufgrund ihres wettbewerbsbeschränkenden Charakters unter normalen Umständen gegen das Kartellverbot der Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB verstoßen würden. Solche Nebenabreden sind aber nur privilegiert, wenn sie mit der Durchführung des Zusammenschlusses (wirtschaftlich) unmittelbar verbunden und für die Durchführung notwendig sind.
Wichtige Hinweise für die Beurteilung typischer Nebenabreden gibt die Kommission in ihrer Bekanntmachung über zulässige Nebenabreden (Bekanntmachung über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind) aus dem Jahr 2005.
Rz. 183
Ein besonders praxisrelevantes Beispiel für Nebenabreden im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen ist die Vereinbarung von Wettbewerbsverboten. Sie wird von der Kommission unter folgenden Bedingungen als unbedenklich angesehen:
a) Erwerb eines Unternehmens bzw. Unternehmensteils
Rz. 184
Die Kommission unterscheidet zwischen Wettbewerbsverboten, die dem Veräußerer auferlegt werden und solchen, die dem Erwerber auferlegt werden.
aa) Wettbewerbsverbote zulasten des Veräußerers
Rz. 185
Wettbewerbsverbote zulasten des Veräußerers werden von der Kommission als unbedenklich angesehen, wenn sie erforderlich sind, um den vollen Wert der übertragenen Vermögenswerte zu erhalten und die Übertragung auf den Erwerber sicherzustellen. Das Wettbewerbsverbot darf aber weder in zeitlicher noch in räumlicher oder sachlicher Hinsicht über das erforderliche Maß hinausgehen.
Rz. 186
In zeitlicher Hinsicht akzeptiert die Kommission Wettbewerbsverbote
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bis zu einer Dauer von 3 Jahren, wenn zusammen mit dem Unternehmen sowohl der Geschäftswert als auch Know-how übertragen wird; |
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bis zu einer Dauer von 2 Jahren, wenn nur der Geschäftswert (ohne Know-how) übertragen wird; |
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überhaupt nicht, wenn nur materielle Vermögenswerte (Grundstücke, Gebäude, Maschinen etc.) und/oder ausschließliche gewerbliche Schutzrechte übertragen werden. |
Rz. 187
In räumlicher Hinsicht muss das Wettbewerbsverbot auf das Gebiet beschränkt werden, in dem der Veräußerer die betreffenden Waren oder Dienstleistungen bereits vor der Unternehmensübertragung angeboten hat.
Rz. 188
In sachlicher Hinsicht muss das Wettbewerbsverbot auf die Waren oder Dienstleistungen beschränkt werden, die den Geschäftsgegenstand des übertragenen Unternehmens bilden.
Rz. 189
Das Wettbewerbsverbot darf nur dem Veräußerer, seinen Tochtergesellschaften oder Handelsvertretern auferlegt werden, nicht aber Dritten.
Rz. 190
Unter den gleichen Voraussetzungen unbedenklich sind nach Meinung der Kommission Abwerbeverbote, Vertraulichkeitsvereinbarungen und Beteiligungsverbote in Bezug auf Unternehmen, die mit dem übertragenen Unternehmen bzw. Unternehmensteil in Wettbewerb stehen (soweit es sich nicht um bloße Beteiligungen zu Investitionszwecken handelt).
bb) Wettbewerbsverbote zulasten des Erwerbers
Rz. 191
Wettbewerbsverbote zulasten des Erwerbers werden von der Kommission deutlich strenger beurteilt. Sie sind nur ausnahmsweise unbedenklich.
b) Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens
Rz. 192
Wettbewerbsverbote im Verhältnis der Gründerunternehmen zum Gemeinschaftsunternehmen sind nach Auffassung der Kommission dann unbedenklich, wenn sie sich
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in sachlicher Hinsicht auf die Waren und Dienstleistungen beschränken, die den Geschäftsgegenstand des Gemeinschaftsunternehmens bilden oder nach der Gründungsvereinbarung bzw. entsprechender Nebenvereinbarungen bilden sollen; |
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in räumlicher Hinsicht auf das Gebiet beschränken, in dem die Gründer die betreffenden Waren oder Dienstleistungen vor Gründung des Gemeinschaftsunternehmens abgesetzt bzw. erbracht haben oder – wenn das Gemeinschaftsunternehmen zur Erschließung neuer Märkte gegründet wird – auf denen das Gemeinschaftsunternehmen nach der Gründungsvereinbarung bzw. entsprechender Nebenvereinbarungen tätig werden soll. |
Rz. 193
Derartige Wettbewerbsverbote können für die gesamte Dauer des Gemeinschaftsunternehmens vereinbart werden.
c) Vereinbarung "überschießender" Nebenabreden
Rz. 194
Die Vereinbarung "überschießender", d.h. nicht ausdrücklich von der Bekanntmachung über zulässige Nebenabreden als unproblematisch eingestufter Nebenabreden führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit dieser Abreden. Sie können im Einzelfall – sofern sie überhaupt gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB verstoßen – gem. Ar...