Rz. 20

Bei abgestimmten Verhaltensweisen handelt es sich um eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit zwischen ihnen an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt.[38] Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit sind i.S.d. Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrags zu verstehen, wonach jeder Wirtschaftsteilnehmer selbstständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Markt zu betreiben gedenkt.[39] An dieser Selbstständigkeit fehlt es nicht, wenn ein Unternehmen lediglich das Verhalten eines anderen nachahmt, ohne dass das zweite Unternehmen bewusst an der Willensbildung des nachahmenden Unternehmens mitgewirkt hat. Es handelt sich dann um ein zulässiges, autonomes Parallelverhalten. Eine Abstimmung ist folglich in einem solchen Fall zu verneinen.[40]

 

Rz. 21

In der Behördenpraxis der Kommission spielt insb. die Abgrenzung der abgestimmten Verhaltensweise vom nicht verbotenen bewussten Parallelverhalten im Zusammenhang mit öffentlichen (Preis-)Ankündigungen von Unternehmen (sog. Signalling) eine Rolle. I.d.R. haben diese öffentlichen Mitteilungen Preiserhöhungen zum Gegenstand, die über die Presse, die Internetseiten der Unternehmen oder auf eine andere Art und Weise gegenüber den Kunden angekündigt werden.[41] Die Kommission hat im Jahr 2013 ein Kartellverfahren gegen verschiedene Containerlinienreedereien eingeleitet, weil sie Bedenken hatte, dass die öffentliche Ankündigung von Frachtpreiserhöhungen zu einer Preisabstimmung der Unternehmen führen könnte, und hat das Verfahren erst nach der rechtsverbindlichen Annahme von Verpflichtungszusagen der Unternehmen beendet.[42] Das BKartA wiederum hat die Praxis der Zementindustrie zu pauschalen Preiserhöhungsrundschreiben beanstandet: Die Zementproduzenten kündigten in regelmäßigen Abständen mittels pauschal gehaltener und in kurzer Zeit aufeinander folgenden Rundschreiben nahezu identische Anpassungen ihrer Listenpreise an. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem die Unternehmen auf diese Praxis verzichteten.[43]

 

Hinweis

In der Praxis liegen meist nur Indizien für ein abgestimmtes Verhalten vor.[44]

[38] EuG, 16.12.2003 – Rs. T-5/00 und T-6/00, Slg. 2000, II-4121 Tz. 284 – Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission und Technische Unie BV/Kommission.
[39] EuG, 16.12.2003 – Rs. T-5/00 und T-6/00, Slg. 2000, II-4121 Tz. 285 – Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektrotechnisch Gebied/Kommission und Technische Unie BV/Kommission.
[40] Wiedemann/Lübbig, Handbuch Kartellrecht, § 8 Rn 12 f.; Bechtold/Bosch, GWB, § 1 Rn 24 ff.
[41] Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABI EU 2023 C 259/01, Rn 398, 401 – 404; Wiedemann/Lübbig, Handbuch Kartellrecht, § 8 Rn 14a.
[42] S. zu allem: Kommission, Pressemitt. v. 7.7.2016, IP/16/2446.
[43] BKartA, Pressemitteilung v. 14.2.2018, B1–240/17.
[44] EuGH, 7.1.2004 – Rs. C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P, Slg. 2004, I-123 Tz. 55 ff. – Aalborg Portland/Kommission; Wiedemann/Lübbig, Handbuch Kartellrecht, § 8 Rn 14.

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