Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
I. Einleitung
Rz. 112
Unter dem Sammelbegriff "Fusionskontrolle" werden üblicherweise diejenigen gesetzlichen Regelungen zusammengefasst, die der staatlichen Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen dienen und – zumindest in erster Linie – wettbewerbliche Zwecke verfolgen. Davon zu unterscheiden sind Regelungen, die nicht die Entstehung übermäßiger Marktmacht verhindern sollen, sondern anderen, wettbewerbsfremden Zwecken dienen, wie z.B. die Vorschriften zur Kontrolle von Beteiligungen ausländischer Investoren an inländischen Unternehmen (z.B. gem. § 60 AWV).
Rz. 113
Selbst ein vergleichsweise "kleiner" Unternehmenskauf kann in der Praxis die Durchführung einer Vielzahl unterschiedlicher Fusionskontrollverfahren erforderlich machen. In den letzten Jahren haben mehr und mehr Staaten ihre eigenen, nationalen Fusionskontrollordnungen erlassen. Deren Anwendbarkeit setzt in aller Regel nicht voraus, dass ein inländisches Unternehmen an dem Zusammenschluss beteiligt ist oder über Tochtergesellschaften im Inland verfügt. Meist reicht es für die grds. Anwendbarkeit einer nationalen Fusionskontrollordnung schon aus, dass ein Zusammenschluss Auswirkungen auf das Inland hat. In Zeiten anhaltender Globalisierung werden derartige Inlandsauswirkungen häufig auch bei Zusammenschlüssen vorliegen, die auf den ersten Blick keine Verbindung zu dem betreffenden Staat haben.
Beispiel
Das Unternehmen A möchte 100 % der Anteile am Unternehmen B erwerben. Beide Unternehmen haben ihren Sitz in Brasilien. Der Unternehmenskaufvertrag unterliegt brasilianischem Recht. Keines der beiden Unternehmen ist in Europa mit eigenen Tochtergesellschaften vertreten. Beide Unternehmen haben im letzten Geschäftsjahr allerdings Exportumsätze mit deutschen Kunden erzielt. Schon dieser Bezug zum deutschen Markt kann u.U. ausreichen, um die Anwendbarkeit der deutschen Fusionskontrolle zu begründen.
Rz. 114
Die Vorbereitung und Durchführung mehrerer paralleler Fusionskontrollverfahren kann für die beteiligten Unternehmen im Einzelfall mit erheblichen Kosten verbunden sein und – in der Praxis besonders ärgerlich – den Vollzug des Unternehmenskaufes erheblich verzögern. Probleme können sich insb. dann ergeben, wenn mögliche fusionskontrollrechtliche Implikationen bei den Vertragsverhandlungen nicht oder erst in einem sehr späten Stadium berücksichtigt werden.
Rz. 115
Für die umsichtige Strukturierung und Planung eines Unternehmenskaufes ist es nicht erforderlich, dass die mit den Vertragsverhandlungen befassten internen oder externen Berater selbst über detaillierte fusionskontrollrechtliche Kenntnisse verfügen. Angesichts der z.T. erheblichen Unterschiede, die die verschiedenen nationalen Fusionskontrollordnungen aufweisen, lassen sich generalisierende Aussagen über "die" Fusionskontrolle ohnehin nicht machen. Entscheidend ist allerdings die Entwicklung eines Gespürs für mögliche fusionskontrollrechtliche Problemfelder, die durch rechtzeitige Prüfung und Berücksichtigung bei den Vertragsverhandlungen vermieden oder doch entschärft werden können. Ziel der folgenden Ausführungen zur Fusionskontrolle ist es, dem im Gesellschaftsrecht tätigen, mit der Strukturierung, Planung und Begleitung von Unternehmenskäufen befassten Berater dieses Gespür zu vermitteln. Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt der Ausführungen weniger auf der materiellen Fusionskontrolle (d.h. der Darstellung der materiellen Untersagungskriterien) als auf der Darstellung der formellen Fusionskontrolle, insb.:
▪ |
der Anmeldevoraussetzungen (Wann ist eine fusionskontrollrechtliche Anmeldung erforderlich?), |
▪ |
dem fusionskontrollrechtlichen Vollzugsverbot (Welche Vollzugsmaßnahmen sind im Vorfeld einer Freigabe durch die zuständige Kartellbehörde verboten?) und |
▪ |
dem typischen Verfahrensablauf (Mit welchem [insb. zeitlichen] Aufwand ist die Durchführung eines Fusionskontrollverfahrens verbunden?). |
Hinweis
Auch wenn sich die Darstellung an dieser Stelle auf die deutsche und die EU-Fusionskontrolle beschränken muss, ist die Kenntnis der wesentlichen Grundzüge dieser beiden wichtigen Fusionskontrollordnungen in aller Regel ausreichend, um jedenfalls ein Gespür für mögliche fusionskontrollrechtliche Problemfelder auch in anderen Jurisdiktionen zu entwickeln.
II. EU-Fusionskontrolle
1. Allgemeines
Rz. 116
Eine eigene Fusionskontrolle gibt es im europäischen Recht erst seit 1990. Sie ist heute im Wesentlichen in der Fusionskontrollverordnung Nr. 139/2004 ("FKVO"). geregelt. Wichtige Einzelheiten – insb. zum Verfahren – regelt auch die Durchführungs-Verordnung Nr. 802/2004 i.d.F. der Durchführungs-Verordnung Nr. 1269/2013 ("Durchführungs-VO"). Im Anhang zur Durchführungs-VO sind insb. die Formblätter veröffentlicht, die bei der Anmeldung eines Zusammenschlusses, der Stellung von Verweisungsanträgen etc. beachtet werden müssen.
Hinweis
Eine Zusammenstellung der wichtigsten Regelungen zur EU-Fusionskontrolle findet sich u.a. auf der Homepage der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission.
Rz. 117
Die EU-Fusion...