Dr. Thilo Klingbeil, Dr. iur. Simon Kohm
I. Typischer Sachverhalt
Rz. 19
Die Chemieunternehmen X und Y (Ausgangssachverhalt siehe Rdn 11) überlegen, ihre Vertriebsaktivitäten insbesondere in Deutschland, aber auch in Frankreich und Polen gemeinsam durchzuführen, und möchten wissen, welche Kartellbehörden für ihren Fall zuständig sind.
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 20
Kartellrechtsrelevante Fälle können von der Kommission, durch mehrere parallel handelnde nationale Behörden oder durch eine einzige nationale Kartellbehörde behandelt werden.
1. Tätigwerden der Kommission
Rz. 21
Mit der Abschaffung des zentralisierten Anmeldesystems bei der Kommission und dem Übergang zum Prinzip der Legalausnahme bei Kartellvereinbarungen ist die Kommission nicht mehr allein zuständig. Sie kann auf eine Beschwerde hin oder von Amts wegen tätig werden und Feststellungen über die Zuwiderhandlung gegen EU-Kartellrecht treffen (Art. 7 VO 1/2003). Daneben sind die Mitgliedstaaten für die Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV im Einzelfall zuständig (Art. 5 VO 1/2003). Kommission und nationale Wettbewerbsbehörden arbeiten dabei eng zusammen. Leitet die Kommission ein Verfahren ein, entfällt die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden (Art. 11 Abs. 6 VO 1/2003).
Die Kommission nimmt die Tätigkeit durch die Generaldirektion Wettbewerb (DG Competition) wahr.
2. Netzwerk der europäischen Wettbewerbsbehörden
Rz. 22
Für die Durchführung der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene nach Art. 11–14 VO 1/2003 haben die Kommission und die nationalen Kartellbehörden ein Netzwerk der Europäischen Wettbewerbsbehörden (European Competition Network – ECN) geschaffen.
Das ECN ist keine eigene Behörde. Vielmehr dient das Netzwerk der Fallverteilung zwischen den nationalen Behörden. Die §§ 50a–50f GWB setzen die RL 2019/1/EU um, wonach vor allem eine Amtshilfe zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden vorgesehen ist. Diese kann sowohl die Ermittlung (§ 50a GWB) als auch die Vollstreckung (§ 50c GWB) betreffen. Die grundsätzliche Zuständigkeit und Unabhängigkeit der jeweiligen nationalen Behörde bleibt jedoch erhalten. Ansonsten ist die Netzwerkbekanntmachung der Kommission maßgeblich.
3. Zuständigkeit deutscher Kartellbehörden
Rz. 23
Die deutschen Kartellbehörden sind zuständig, wenn ein Fall wegen fehlender Beeinträchtigung des gemeinsamen Handels unterhalb der Zwischenstaatlichkeitsklausel bleibt oder der Fall im Rahmen des Netzwerks der europäischen Wettbewerbsbehörden zugewiesen wird. Das Bundeskartellamt ist zuständig, wenn keine Zuweisung an eine bestimmte Kartellbehörde besteht und die Wirkung des wettbewerbsbeschränkenden oder diskriminierenden Verhaltens über das Gebiet eines Bundeslandes hinaus reicht (§ 48 Abs. 2 S. 1 GWB). Letzteres dürfte bei europäischen Auswirkungen gegeben sein; auch bei nationalen Fällen ist dies die Regel, es sei denn es handelt sich um eine Absprache, die auf ein kleines Gebiet begrenzt ist und nur lokal gehandelte Waren betrifft (z.B. örtlicher Versorger mit verderblichen oder nicht transportablen Waren oder die Überprüfung von Glühweinpreisen auf Weihnachtsmärkten). In solchen Fällen liegt die Zuständigkeit bei den Landeskartellbehörden.
III. Checkliste: Zuständigkeit der Kartellbehörden
Rz. 24
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Bei spürbarer Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Handels:
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Kriterium der guten Eignung der Kartellbehörde, |
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Kommission bei mehr als drei betroffenen Mitgliedstaaten, Zusammenhang mit sonstigem EU-Recht, Gemeinschaftsinteresse, |
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nationale Kartellbehörden bei wesentlichen Auswirkungen in dem Mitgliedstaat, Kompetenz zur Anordnung und Möglichkeit der Beweiserhebung. |
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Ohne spürbare Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Handels: Deutsche Kartellbehörden. |
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Auffan... |