Dr. Thilo Klingbeil, Dr. iur. Simon Kohm
I. Typischer Sachverhalt
Rz. 61
Die X-GmbH produziert und vertreibt Autoreifen. Die Z-S.A., eine Gesellschaft belgischen Rechts und Tochter der deutschen Z-AG, handelt mit Autoreifen. X-GmbH und Z-S.A. wollen je 25 % der Anteile an der Y-GmbH von der Y-AG erwerben, die ebenfalls Hersteller und Händler von neuartigen Autoreifen mit sehr großem Marktpotential ist. Die Y-AG hält bisher 75 % der Anteile an der Y-GmbH, während die restlichen 25 % bei der A-Finanz GmbH liegen. Die X-GmbH und die Y-AG wollen ihre Herstellung von Autoreifen nach dem Erwerb auf das Gemeinschaftsunternehmen Y-GmbH übertragen. Die Y-GmbH soll den Vertrieb in Deutschland über ihre Tochter Y-Handels GmbH und in Belgien durch die Z-S.A. vornehmen. Der Umsatz aller genannten Unternehmen liegt weltweit bei ca. 1 Mrd. EUR; in Deutschland liegt der Umsatz der X-GmbH über 25 Mio. EUR, während der Umsatz der Y-AG und der Z-AG jeweils unter 5 Mio. EUR liegen. Das Transaktionsvolumen liegt bei über 400 Mio. EUR.
II. Rechtliche Grundlagen
Rz. 62
Die Fusionskontrolle nach dem GWB schreibt vor, dass Zusammenschlussvorhaben, die nicht in den Anwendungsbereich der europäischen Fusionskontrolle nach der VO 139/2004 fallen, vor dem Vollzug (§ 39 GWB) bei dem ausschließlich zuständigen Bundeskartellamt anzumelden sind, wenn ein Zusammenschlusstatbestand i.S.d. § 37 GWB vorliegt und die beteiligten Unternehmen die festgelegten Umsatzschwellen (§ 35 GWB) überschreiten.
1. Zusammenschlusstatbestände
Rz. 63
Ein Zusammenschluss liegt gem. § 37 GWB vor, wenn das Vermögen eines Unternehmens ganz oder teilweise erworben wird (Vermögenserwerb nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB).
Ein Zusammenschluss kann auch durch Erwerb der unmittelbaren oder mittelbaren Kontrolle durch ein oder mehrere Unternehmen über die Gesamtheit oder Teile eines oder mehrerer anderer Unternehmen erfolgen; die Kontrolle kann durch Rechte oder Verträge oder andere Mittel begründet werden, die einzeln oder zusammen unter Berücksichtigung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben (Kontrollerwerb nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Kontrolle meint einen Einfluss, mit dem die strategischen Entscheidungen der Geschäftspolitik oder die Besetzung der Geschäftsführungsorgane bestimmt werden kann, was insbesondere durch Konzernbildungs- und Konzernerweiterungsverträge, Betriebsführungs- und Gewinnabführungsverträge sowie Betriebsverpachtungs- oder Überlassungsverträge erfolgen kann. Bei Aktiengesellschaften ist ein Kontrollerwerb auch schon dann möglich, wenn der Erwerber zwar weniger als 50 % der Anteile erwirbt, aber der Stimmrechtserwerb gemessen an den Präsenzen der letzten drei Hauptversammlungen dazu führt, dass Hauptversammlungsbeschlüsse durchgesetzt werden können. Die Kontrolle kann auch durch mehrere Unternehmen ausgeübt werden; ausreichend ist, wenn die Unternehmen durch eine gemeinsame Unternehmenspolitik ihre Interessen im Verhältnis zueinander und in Bezug auf das beherrschte Unternehmen abstimmen und durchsetzen können. Zu den kontrollierenden Unternehmen ist damit jedes Unternehmen zu zählen, dessen Stimmen benötigt werden, um die erforderliche Mehrheit für wichtige Entscheidungen zu erlangen.
Ein Zusammenschluss ist weiter gegeben, wenn durch Anteilserwerb 25 % oder 50 % des Kapitals oder der Stimmrechte erreicht werden (Anteilserwerb nach § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB). Bei der Berechnung der Anteilsschwelle zählen auch sonstige, beim Erwerber bereits vorhandene Anteile hinzu, selbst wenn diese von einem Dritten für Rechnung des Erwerbers gehalten werden. Erwerben mehrere Unternehmen Anteile an einem Unternehmen in der genannten Höhe, so ist dies nicht nur hinsichtlich des erworbenen Unternehmens ein Anteilserwerb, sondern auch ein Zusammenschluss der Erwerber untereinander auf dem betroffenen Markt des erworbenen Unternehmens (Gemeinschaftsunternehmen; § 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 3 GWB).
Schließlich handelt es sich um einen Zusammenschluss, wenn eine sonstige Verbindung von Unternehmen geschaffen wird, aufgrund derer ein oder mehrere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen wettbewerblich erheblichen Einfluss auf das Zielunternehmen ausüben können (wettbewerblich erheblicher Einfluss nach § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB). Das erfasst die Fälle einer gesellschaftsrechtlich vermittelten Unternehmensverbindung; rein wirtschaftliche Abhängigkeiten zählen nicht dazu.
Wird nach einem früheren Erstzusammenschluss durch weiteren Erwerb ein Zweitzusammenschluss herbeigeführt, ist dieser fusionskontrollfrei, wenn es nicht mehr zu einer wesentlichen Verstärkung der Unternehmensverbindung kommt (§ 37 Abs. 2 GWB). Diese Ausnahme haben die Zusammenschlussbeteiligten nachzuweisen.
Konzerninterne Umstrukturierungen stellen keinen Zusammenschluss dar. Keine Anmeldung ist erforderlich, wenn Banken oder Versicherungsunternehmen zum Zwecke der Weiter...