Dr. Thilo Klingbeil, Dr. iur. Simon Kohm
I. Rechtliche Grundlagen
Rz. 116
Bei Verletzung kartellrechtlicher Vorschriften können sich zivilrechtliche Ansprüche auf Beseitigung, Unterlassung und Schadensersatz ergeben. Diese stehen neben den kartellbehördlichen Maßnahmen, die vom Anspruchsteller initiiert werden können.
Rz. 117
Besondere Regelungen bestehen bei zivilen Kartellklagen für die gerichtliche Zuständigkeit, die Beweislast und die Herausgabe von Beweismitteln, die Schadensabwälzung, die Verjährung und die gesamtschuldnerische Haftung sowie die Haftung von Kronzeugen.
Für Rechtsstreitigkeiten, die sich aus der Anwendung des GWB, des Art. 101 oder 102 AEUV bzw. Art. 53 oder 54 EWR-Abkommen ergeben, sind die Kartellgerichte ausschließlich zuständig (§§ 87 S. 1, 95 GWB). Das gilt auch, wenn sich eine kartellrechtliche Vorfrage stellt, also die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach dem GWB, Art. 101 oder 102 AEUV bzw. Art. 53 oder 54 EWR-Abkommen zu treffen ist (§ 87 S. 2 GWB); ergibt sich erst nach Klageerhebung eine solche kartellrechtliche Vorfrage, ist eine Verweisung an das für den gesamten Rechtsstreit nunmehr allein zuständige Kartellgericht erforderlich. Selbst wenn eine kartellrechtliche Vorfrage bereits höchstrichterlich entschieden ist oder keine Probleme aufwirft (sog. acte claire), muss sich das angerufene Gericht für unzuständig erklären. In Verfügungssachen ist bei einem auf Kartellrecht gestützten Anspruch das Kartellgericht ausschließlich zuständig; erweist sich die Angelegenheit erst nach der Reaktion des Verfügungsgegners als Kartellsache, bleibt es bei der Zuständigkeit des angerufenen Verfügungsgerichts.
Wird ein Klagebegehren teils auf kartellrechtliche und teils auf außerkartellrechtliche Grundlagen gestützt, ist das Kartellgericht zuständig und hat den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden (§ 17 Abs. 2 GVG). Liegt ein Fall der Anspruchshäufung (objektive Klagehäufung) vor, weil der Kläger mehrere Ansprüche kartellrechtlicher und außerkartellrechtlicher Art gegen den Beklagten hat, die auf verschiedenen Gründen beruhen (§ 260 ZPO), so können diese vor dem Kartellgericht zu einer Klage verbunden werden, wenn sie in einem rechtlichen oder unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (§ 88 Hs. 1 GWB); das gilt auch dann, wenn für den außerkartellrechtlichen Anspruch an sich eine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist (§ 88 Hs. 2 GWB).
Eingangsgerichte für Kartellklagen sind die Landgerichte und Berufungsgerichte dazu die Oberlandesgerichte. Ist in einem Bundesland die Zuständigkeit eines Land- oder Oberlandesgerichts für mehrere Gerichtsbezirke bestimmt worden, so sind diese Gerichte ausschließlich zuständig (§§ 89 und 92 GWB). Die ausschließliche Zuständigkeit ist von Amts wegen zu beachten. Ein unzuständiges Gericht muss eine Klage nach Anhörung (§ 139 ZPO) als unzulässig abweisen und bei Stellung eines Verweisungsantrags an das zuständige Kartellgericht verweisen (§ 281 Abs. 1 ZPO). Sind allgemein zuständiges Zivilgericht und zuständiges Kartellgericht identisch und die Klage nur nicht vor der Kartellkammer des Zivilgerichts erhoben, liegt keine Unzuständigkeit vor, sondern ist nur eine Abgabe nach dem Geschäftsverteilungsplan vorzunehmen.
Bei einer Schadensersatzklage wird widerleglich vermutet, dass das Kartell einen Schaden verursacht hat (§ 33a Abs. 2 S. 1 GWB). Gegen diese Schadensvermutung müssen die Kartellanten dartun, dass ihre Absprache oder abgestimmte Verhaltensweise etwa durch Festsetzung oder Koordinierung von An- oder Verkaufspreisen oder Geschäftsbedingungen, die Aufteilung von Produktions- oder Absatzquoten, von Märkten und Kunden oder gegen Wettbewerber gerichtete Maßnahmen keinen Schaden verursacht haben. Zudem wird widerleglich vermutet, dass Rechtsgeschäfte über Waren und Dienstleistungen mit kartellbeteiligten Unternehmen, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich eines Kartells fallen, von diesem Kartell erfasst waren (§ 33a Abs. 2 S. 4 GWB).
Der Anspruchsteller bzw. Kläger hat einen weiteren Vorteil dadurch, dass er gegen denjenigen, der im Besitz von Beweismitteln für einen Schadensersatzanspruch ist, einen Herausgabeanspruch auf Beweismittel hat, wenn er den Anspruch auf Schadensersatz glaubhaft machen und die Beweismittel so genau bezeichnen kann, wie ihm dies auf Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen möglich ist (§ 33g Abs. 1 GWB). Der Anspruch kann bereits im Vorfeld eines Schadensersatzrechtsstreits oder von Vergleichsverhandlungen geltend gemacht werden. Der Anspruch steht umgekehrt auch dem Schädiger bzw. Beklagten zu, wenn er die Beweismittel in der Verteidigungssituation benötigt (§ 33g Abs. 2 GWB). Ausgeschlossen ist der Anspruch, wenn dies unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beteiligten unverhältnismäßig ist; bei der Interessenabwägung ist u.a. von Bedeutung der Klageantrag, die Kosten der Herausgabe und der ...