Dr. Thilo Klingbeil, Dr. iur. Simon Kohm
1. Typischer Sachverhalt
Rz. 25
Die kleineren Handelsunternehmen A und B wollen jeweils expandieren. Sie unterzeichnen eine Kooperationsvereinbarung, wonach sie sich bei der Gewinnung größerer Kunden wechselseitig unterstützen; es besteht Einigkeit, gegenseitigen Wettbewerb bei solchen Kunden zu unterlassen, selbst wenn der Auftragsumfang das zulassen würde. Ein Wettbewerber mahnt A und B ab und droht mit einer Anzeige bei den Kartellbehörden.
2. Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen und Legalausnahme
Rz. 26
Nach § 1 GWB sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten.
Das Kartellverbot erfasst sowohl horizontale Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Unternehmen derselben Produktions- oder Handelsstufe (Wettbewerber) als auch vertikale Vereinbarungen zwischen Unternehmen verschiedener Stufen der Wertschöpfungskette.
Im deutschen Kartellrecht gilt wie im europäischen Recht das Prinzip der Legalausnahme. Damit eine kartellrechtlich relevante Vereinbarung oder Verhaltensweise wirksam ist, muss sie von Gesetzes wegen freigestellt sein, was sich nach den normierten Voraussetzungen bestimmt, welche die beteiligten Unternehmen im Rahmen der Selbsteinschätzung prüfen müssen. Eine Freistellung tritt nach § 2 Abs. 1 GWB bzw. Art 101 Abs. 3 AEUV ein, wenn die Verbraucher angemessen an dem entstehenden Gewinn beteiligt werden und die Vereinbarung zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt, ohne dass den beteiligten Unternehmen Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind oder ihnen Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschließen.
Bestimmte typische Kartellvereinbarungen sind generell durch die sog. Gruppenfreistellungen (GVO) freigestellt, die auch im deutschen Kartellrecht anzuwenden sind (§ 2 Abs. 2 GWB).
3. Nichtigkeit kartellrechtswidriger Vereinbarungen
Rz. 27
Liegen die Freistellungsvoraussetzungen aus § 2 GWB bzw. Art. 101 Abs. 3 AEUV nicht vor, ist eine kartellrechtswidrige Vereinbarung wegen des ausdrücklichen Verbots nach § 1 GWB bzw. nach Art. 101 Abs. 1 AEUV kraft Gesetzes nichtig (§ 134 BGB bzw. Art. 101 Abs. 2 AEUV). Verstößt eine vertragliche Vereinbarung nicht insgesamt, sondern nur in Teilen gegen das Kartellverbot, ist die Frage der Gesamt- oder Teilnichtigkeit nach § 139 BGB zu entscheiden; eine salvatorische Erhaltungsklausel spricht für den Willen der Vertragsparteien zur Fortgeltung des Restvertrages, hat aber maßgeblich nur Einfluss auf die Beweislast.
4. Kartellbußgeldverfahren
Rz. 28
Die Kartellbehörde leitet ein Verfahren von Amts wegen oder auf Antrag ein (§ 54 Abs. 1 GWB), nimmt die ihr zugewiesenen Verfahrensbefugnisse wie insbesondere die Durchführung von Ermittlungen, Beweiserhebungen, Beschlagnahmen, Auskunftsverlangen einschließlich Durchsuchungen und ggf. einstweiligen Anordnungen wahr (§§ 56–60 GWB) und schließt das Verfahren durch begründete Entscheidung ab (§ 61 GWB).
Die Kartellbehörde ist nicht auf die bloße Untersagung des wettbewerbswidrigen Verhaltens beschränkt; vielmehr können den betroffenen Unternehmen nach § 32 Abs. 2 GWB alle Maßnahmen aufgegeben werden, die für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich und gegenüber dem festgestellten Verstoß verhältnismäßig sind (positive Tenorierung). Das können verhaltensorientierte Maßnahmen wie die Beendigung einer vertraglichen Vereinbarung, aber auch strukturelle Maßnahmen wie die Aufgabe der Beteiligung an einem Gemeinschaftsunternehmen sein. In dringenden Fällen sind einstweilige Maßnahmen nach § 32a GWB möglich. Die Kartellbehörde kann auch eine Rückerstattung der Vorteile aus dem kartellrechtswidrigen Verhalten anordnen (§ 34 Abs. 2a GWB).
5. Verpflichtungszusage
Rz. 29
Hat die Kartellbehörde im Konzept der Legalausnahme ein Kartellverfahren eingeleitet und den beteiligten Unternehmen etwa in Form eines Abmahnschreibens ihre kartellrechtlichen Bedenken mitgeteilt, kommt eine Verpflichtungszusage nach § 32b GWB in Betracht. Die Unternehmen müssen eine Verpflichtung anbieten, die zur Ausräumung der Bedenken der Kartellbehörde geeignet ist. Durch Verfügung kann die Behörde diese Zusage für bindend erklären. Sie trifft dabei keine Aussage über das Vorliegen eines Kartellverstoßes, sondern sichert parallel zur Entscheidung nach § 32c GWB nur zu, dass von den Befugnissen nach §§ 32, 32a GWB kein Gebrauch gemacht wird. Gründe für eine Wiederaufnahme eines Kartellverfahrens nach einer Verpflichtungszusage sind in § 32b Abs. 2 GWB geregelt.
6. Bußgeld
Rz. 30
Ein Verstoß gegen die Verbote der Art. 101, 102 AEUV oder des GWB wird als Ordnungswidrigkeit (§ 81 GWB) und im Falle eines Submissionskartells (§ 298 StGB) als Straftat geahndet. Ausreichend für die Ordnungswidrigkeit ist bereits die Vereinbaru...