Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
1. Allgemeines
Rz. 116
Eine eigene Fusionskontrolle gibt es im europäischen Recht erst seit 1990. Sie ist heute im Wesentlichen in der Fusionskontrollverordnung Nr. 139/2004 ("FKVO"). geregelt. Wichtige Einzelheiten – insb. zum Verfahren – regelt auch die Durchführungs-Verordnung Nr. 802/2004 i.d.F. der Durchführungs-Verordnung Nr. 1269/2013 ("Durchführungs-VO"). Im Anhang zur Durchführungs-VO sind insb. die Formblätter veröffentlicht, die bei der Anmeldung eines Zusammenschlusses, der Stellung von Verweisungsanträgen etc. beachtet werden müssen.
Hinweis
Eine Zusammenstellung der wichtigsten Regelungen zur EU-Fusionskontrolle findet sich u.a. auf der Homepage der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission.
Rz. 117
Die EU-Fusionskontrolle ist gem. Art. 1 Abs. 1 FKVO anwendbar auf "alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung".
Die Anwendbarkeit der EU-Fusionskontrolle setzt danach zweierlei voraus:
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das Vorliegen eines Zusammenschlusses und |
▪ |
die gemeinschaftsweite Bedeutung dieses Zusammenschlusses. |
Die EU-Fusionskontrolle geht den nationalen Fusionskontrollordnungen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten vor. Unterliegt ein Zusammenschluss der EU-Fusionskontrolle, dürfen die Mitgliedstaaten gem. Art. 23 Abs. 3 FKVO ihre nationalen Fusionskontrollordnungen auf diesen Zusammenschluss nicht anwenden.
Hinweis
Für die Praxis bedeutet das, dass zunächst immer die Anwendbarkeit der EU-Fusionskontrolle geprüft werden sollte. Eine Prüfung nach dem jeweiligen nationalen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten wird erst erforderlich, wenn die Anwendung der EU-Fusionskontrolle ausscheidet.
2. Begriff des "Zusammenschlusses"
Rz. 118
Die EU-Fusionskontrolle findet nur auf "Zusammenschlüsse" i.S.v. Art. 3 FKVO Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 FKVO unterscheidet zwei Zusammenschlusstatbestände:
▪ |
Fusion und |
▪ |
Kontrollerwerb. |
Wichtige Hinweise für die Auslegung des Zusammenschlussbegriffs durch die Kommission finden sich in ihrer Konsolidierten Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen aus dem Jahr 2009.
a) Fusion
Rz. 119
Der Begriff der "Fusion" umfasst jeden Vorgang, bei dem aus mehreren selbstständigen Unternehmen eine neue wirtschaftliche Einheit, d.h. ein neues Unternehmen, entsteht. Als Beispiele für eine "Fusion" nennt die Kommission die Verschmelzung, aber auch die Gründung eines Gleichordnungskonzerns.
Konzerninterne Umstrukturierungen werden nicht erfasst. Art. 3 Abs. 1 FKVO verlangt eine Fusion "bisher voneinander unabhängiger Unternehmen".
Hinweis
Der Zusammenschlusstatbestand der "Fusion" spielt in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle.
b) Kontrollerwerb
Rz. 120
"Kontrolle" wird in Art. 3 Abs. 2 FKVO definiert als die "Möglichkeit, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben". Auch der Kontrollerwerb durch eine natürliche Person, die selbst nicht unternehmerisch tätig ist, kann unter Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) FKVO fallen, sofern diese Person mindestens ein (anderes) Unternehmen kontrolliert.
Es ist nicht erforderlich, dass der bestimmende Einfluss tatsächlich ausgeübt wird. Die Möglichkeit dazu reicht aus, um Kontrolle i.S.v. Art. 3 Abs. 2 FKVO zu begründen.
Ebenfalls nicht erforderlich ist, dass die Kontrolle gesellschaftsrechtlich vermittelt ist. Sie kann gem. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) FKVO durch den Erwerb von Anteilsrechten oder Vermögenswerten, aber auch durch Vertrag oder "in sonstiger Weise" vermittelt werden. So kann Kontrolle z.B. auf vertraglicher Grundlage erworben werden, sofern der Vertrag eine ähnliche Kontrolle über Unternehmensleitung und Ressourcen des anderen Unternehmens bewirkt wie der Erwerb von Anteilsrechten oder Vermögenswerten (z.B. Abschluss von Beherrschungsverträgen, Betriebspachtverträgen etc.).
Rz. 121
Der Begriff der "Kontrolle" setzt allerdings eine gewisse Dauerhaftigkeit voraus. Daran kann es z.B. fehlen, wenn die Einflussmöglichkeiten nicht gesellschaftsrechtlich vermittelt werden, sondern auf Austauschverträgen, personellen Verbindungen oder anderen, tatsächlichen Umständen beruhen. Eine nur vorübergehende Kontrollmöglichkeit ist keine "Kontrolle" i.S.d. EU-Fusionskontrolle.
Das Element der Dauerhaftigkeit hat u.a. Bedeutung für die Behandlung aufeinanderfolgender Transaktionen, von denen einige nur Übergangscharakter haben:
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Tun sich mehrere Unternehmen zusammen, um ein anderes Unternehmen zu erwerben und die erworbenen Vermögenswerte unmittelbar nach Vollzug dieser ersten Transaktion nach einem im Voraus vereinbarten Plan untereinander aufzuteilen, betrachtet die Kommission unter gewissen Umständen nur die Transaktionen im zweiten Schritt (Aufteilung) als Kontrollerwerb, nicht dagegen den gemeinsamen Erwerb des Unternehmens im ersten Schritt. |
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Haben mehrere Unternehmen w... |