Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
Rz. 9
Die Regelungen der §§ 1–3 GWB und des Art. 101 AEUV folgen dem gleichen Muster: Zunächst wird ein allgemeines Kartellverbot statuiert, von dem anschließend (in Art. 101 Abs. 3 AEUV und §§ 2, 3 GWB) wiederum Ausnahmen (sog. Freistellungen) zugelassen werden.
1. Adressaten
a) Unternehmen
Rz. 10
Ein Unternehmen i.S.d. Wettbewerbsrechts ist jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Im Kartellrecht werden über den Begriff der wirtschaftlichen Einheit auch mehrere rechtlich selbstständige Rechtssubjekte als ein Unternehmen angesehen. Es gilt eine wirtschaftliche Betrachtungsweise.
Rz. 11
Nicht erfasst ist die Nachfrage und Erzeugung der privaten Haushalte. Auch Arbeitnehmer besitzen nicht die Unternehmereigenschaft. Freiberufler sind hingegen grds. i.S.d. Wettbewerbsrechts unternehmerisch tätig, soweit sie mit ihren Leistungen am Wirtschaftsleben teilnehmen und untereinander oder mit Dritten in Wettbewerb treten.
Rz. 12
Bei der öffentlichen Hand kommt es auf den Einzelfall an. Dabei ist zu unterscheiden: Nehmen Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts unternehmensähnlich am wirtschaftlichen Verkehr teil, können sie als Unternehmen behandelt werden. Nimmt die öffentliche Hand hingegen rein hoheitliche Aufgaben wahr, z.B. im Bereich der sozialen Sicherheit oder bei der Luftraumüberwachung, kann eine wirtschaftliche Tätigkeit zu verneinen sein. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein und die Fallpraxis ist entsprechend kasuistisch geprägt.
So hat der EuGH entschieden, dass bestimmte Einrichtungen, die mit der Verwaltung gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherungssysteme betraut sind, einen rein sozialen Zweck verfolgen und keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Dies sei der Fall bei Krankenkassen, die nur die Gesetze anwenden und keine Möglichkeit haben, auf die Höhe der Beiträge, die Verwendung der Mittel und die Bestimmung des Leistungsumfangs Einfluss zu nehmen, sogar bei Kassenverbänden, die Festbeträge für Medikamente festsetzen. Allein das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht reiche jedoch nicht zur Verneinung der Unternehmenseigenschaft aus.
Der BGH hingegen nimmt auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Unternehmenseigenschaft der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung an. Mittlerweile hat der Gesetzgeber in § 69 Abs. 1 und 2 SGB V geregelt, dass auf die Rechtsbeziehung der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden viele Bestimmungen des GWB entsprechend Anwendung finden. Ergänzend erfolgte eine Zuständigkeitszuweisung an die Kartellbehörden.
Rz. 13
Uneinheitlich ist auch die Lage beim Kauf von Gütern durch die öffentliche Hand: Nach deutscher Rspr. ist die gesamte Nachfragetätigkeit der öffentlichen Hand vom Unternehmensbegriff umfasst. Das EuG hat hingegen entschieden, dass hier wiederum zu differenzieren sei: Diene der Kauf von Gütern dazu, später Güter oder Dienstleistungen am Markt anzubieten, handle es sich um eine unternehmerische Tätigkeit. Würden die Güter hingegen zu anderen – z.B. rein sozialen – Zwecken gekauft, so liege keine unternehmerische Tätigkeit vor.
Rz. 14
Art. 101 AEUV findet keine Anwendung, wenn es sich um Vereinbarungen oder Verhaltensweisen von Beteiligten handelt, die eine wirtschaftliche Einheit bilden. Diese wirtschaftliche Einheit wird vielmehr als das relevante Unternehmen i.S.v. Art. 101 AEUV angesehen. Dies ist insb. der Fall bei Unternehmen, die als Mutter- bzw. Tochtergesellschaft einem Konzern angehören, sofern die Tochtergesellschaft ihr Vorgehen auf dem Markt nicht selbstständig bestimmen kann, sondern im Wesentlichen insb. wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen den Weisungen der Muttergesellschaft folgt.
Rz. 15
Um eine wirtschaftliche Einheit in diesem Sinne handelt es sich auch bei mehreren Unternehmen, die von ein und derselben natürlichen Person kontrolliert werden, vorausgesetzt, die Unternehmen können nicht selbst über ihre Marktstrategie entscheiden. Insofern bilden auch Unternehmen und die für sie tätigen Handelsvertreter eine wirtschaftliche Einheit, sofern diese als in das Unternehmen eingegliederte weisungsabhängige Hilfsorgane zu betrachten sind, die keine autonome Geschäftstätigkeit ausüben. Hierfür kommt es ganz entscheidend darauf an, ob der Handelsvertreter aus wirtschaftlicher Sicht einem Eigenhändler vergleichbar ist, ob er also im Einzelfall die finanziellen Risiken des Absatzes oder der Abwicklung der mit Dritten geschlossenen Verträge zu tragen hat.
Beispiel
Eine Risikotragung durch einen Handelsvertreter im Bereich des Automobilverkaufs liegt nicht vor, wenn sich der Vertreter darauf beschränkt, Bestellungen möglicher Kunden einzuholen und an den Automobilhersteller weiterzuleiten, ohne jedoch selbst direkte Verkäufe zu tätigen, und der Vertreter keine Preisnachlässe für die ...