Dr. Peter Niggemann, Dr. Martin Buntscheck
1. Ermittlungsbefugnisse
a) Kommission
Rz. 97
Die Ermittlungsbefugnisse der Kommission in einem konkreten Verfahren richten sich nach Art. 18–22 VO 1/2003. Demnach kann die Kommission durch einfaches Auskunftsverlangen oder durch Entscheidung von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen verlangen, dass sie alle erforderlichen Auskünfte erteilen (Art. 18 Abs. 1 VO 1/2003). Ferner erteilen Regierungen und Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten der Kommission auf Verlangen alle Auskünfte, die sie zur Erfüllung der ihr mit dieser Verordnung übertragenen Aufgaben benötigt (Art. 18 Abs. 5 VO 1/2003). Weiterhin kann die Kommission alle natürlichen und juristischen Personen befragen, die der Befragung zum Zweck der Einholung von Informationen, die sich auf den Gegenstand einer Untersuchung bezieht, zustimmen (Art. 19 Abs. 1 VO 1/2003).
Rz. 98
Gem. Art. 20 Abs. 1 VO 1/2003 kann die Kommission als besonders wichtiges Ermittlungsmittel sog. Nachprüfungen vornehmen. Die mit den Nachprüfungen beauftragten Bediensteten der Kommission und die anderen von ihr ermächtigten Begleitpersonen sind befugt, alle Räumlichkeiten, Grundstücke und Transportmittel von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zu betreten. Sie dürfen die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen prüfen, Kopien oder Auszüge aus diesen Büchern und Unterlagen anfertigen oder erlangen, betriebliche Räumlichkeiten und Bücher oder Unterlagen für die Dauer und in dem Ausmaß versiegeln, wie es für die Nachprüfung erforderlich ist sowie von allen Vertretern oder Mitgliedern der Belegschaft des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung Erläuterungen zu Tatsachen oder Unterlagen verlangen, die mit Gegenstand und Zweck der Nachprüfung in Zusammenhang stehen, und ihre Antworten zu Protokoll nehmen (Art. 20 Abs. 2 VO 1/2003). Die Unternehmen und Unternehmensvereinigungen sind verpflichtet, die Nachprüfungen zu dulden, die die Kommission durch Entscheidung angeordnet hat (Art. 20 Abs. 4 Satz 1 VO 1/2003).
Rz. 99
Besteht ein begründeter Verdacht, dass Bücher oder sonstige Geschäftsunterlagen, die sich auf den Gegenstand der Nachprüfung beziehen und die als Beweismittel für einen schweren Verstoß gegen Art. 101 AEUV von Bedeutung sein könnten, in anderen Räumlichkeiten, auf anderen Grundstücken oder in anderen Transportmitteln – darunter auch die Wohnungen von Unternehmensleitern und Mitgliedern der Aufsichts- und Leitungsorgane sowie sonstigen Mitarbeitern – aufbewahrt werden, so kann die Kommission durch Entscheidung eine Nachprüfung auch dort anordnen (Art. 21 Abs. 1 VO 1/2003).
Rz. 100
Gegen eine Ermittlungshandlung ist, soweit sie als Entscheidung ergeht, die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV möglich. Diese hat allerdings gem. Art. 278 Satz 1 AEUV keine aufschiebende Wirkung, sodass ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gem. Art. 278, 279 AEUV geboten sein kann.
Rz. 101
Materiell werden wegen ihrer Grundrechtsrelevanz die Ermittlungsbefugnisse der Kommission durch die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts begrenzt, zu denen in erster Linie die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Ermittlungshandlung gehören. Auch die Beachtung der Verteidigungsrechte ist für ein rechtmäßiges Verfahren erforderlich (s.u. Rdn 105 ff.).
b) Nationale Kartellbehörden
Rz. 102
Gem. § 57 GWB kann die Kartellbehörde alle Ermittlungen führen und alle Beweise erheben, die erforderlich sind. Dies ist Ausdruck des Amtsermittlungsgrundsatzes. Für den Beweis durch Zeugen, Augenschein und Sachverständige sind die Vorschriften der ZPO sinngemäß anzuwenden. Die Kartellbehörde darf daher formlos bei Behörden, Unternehmen und Privatpersonen ermitteln, soweit sie dadurch deren Rechte nicht verletzt. Gegen Verfügungen im Beweisverfahren ist die Beschwerde gem. §§ 63 ff. GWB statthaft. Gem. § 58 Abs. 1 Satz 1 GWB kann die Kartellbehörde Beweismittel beschlagnahmen. Die Beschlagnahme ist stets ohne vorherige richterliche Entscheidung zulässig; falls weder der Betroffene noch ein erwachsener Angehöriger bei der Beschlagnahme anwesend war bzw. wenn eine dieser Personen der Beschlagnahme widersprochen hat, muss die Beschlagnahme innerhalb von 3 Tagen richterlich bestätigt werden. Anderenfalls erlischt sie. Der Betroffene kann beim AG, in dessen Bezirk die Beschlagnahme stattgefunden hat, um richterliche Entscheidung über die Beschlagnahme nachsuchen. Hiergegen ist wiederum die Beschwerde – nicht gem. §§ 63 ff. GWB, sondern nach §§ 306 ff. StPO – zulässig. Im Rahmen der Beschlagnahme ist § 97 StPO entsprechend anzuwenden.
Rz. 103
Darüber hinaus kann die Kartellbehörde Auskünfte sowie die Herausgabe von Unterlagen von den betroffenen Unternehmen verlangen, die Unterlagen innerhalb der üblichen Geschäftszeiten einsehen und prüfen und dazu die Räume der ...