Rz. 80
Ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis liegt vor, wenn die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Beziehungen bei Schluss der mündlichen Verhandlung – schon oder noch – wenigstens die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Das lediglich mögliche Bestehen eines künftigen Rechtsverhältnisses, über dessen entscheidungserhebliche Umstände im vorgenannten Zeitpunkt noch Ungewissheit besteht, kann dagegen nicht festgestellt werden. Denn es ist nicht möglich, aus einem Sachverhalt schon die begehrte Rechtsfolge abzuleiten, obwohl mindestens ein für die Entscheidung erheblicher, nicht lediglich eine Rechtsbedingung enthaltender Teil des Sachverhalts sich erst zukünftig ereignet. Die bloße Befürchtung eines zukünftig entstehenden Rechtsverhältnisses oder die Hoffnung darauf gewährt grundsätzlich noch kein Recht auf richterlichen Schutz. Im Amtshaftungsrecht scheidet eine "vorbeugende" Klage auf Feststellung der Haftung vor Erlass eines den Schaden erst herbeiführenden Verwaltungsaktes schon deshalb regelmäßig aus, weil diese dem Vorrang des Primärrechtsschutzes (§ 839 Abs. 3 BGB) widersprechen würde; etwas anderes kommt allenfalls in Betracht, wenn das Abwarten des Erlasses des Verwaltungsaktes nicht zumutbar ist.
Rz. 81
Unter einem gegenwärtigen Rechtsverhältnis ist allerdings nicht nur eine – bereits bestehende – konkrete rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu einer anderen oder zu einem Gegenstand zu verstehen, sondern unter diesen Begriff fallen auch Beziehungen, die als Rechtsfolge künftig hieraus erwachsen. Ein Rechtsverhältnis liegt daher auch dann schon vor, wenn eine Verbindlichkeit noch nicht entstanden, aber für ihren späteren Eintritt der Grund in der Art gelegt ist, dass die Entstehung der Verbindlichkeit nur vom Eintritt weiterer Umstände oder dem Zeitablauf abhängt. Es ist also nur erforderlich, dass für die Entstehung eines Anspruchs der Grund in der Art gelegt ist, dass schon eine Rechtsbeziehung besteht, nicht dagegen, dass alle Umstände, von denen die Entstehung des Anspruchs abhängt, bereits eingetreten sind. Auch bedingte oder nur mögliche künftige Beziehungen können im vorgenannten Rahmen daher Grundlage einer Feststellungsklage sein. So kann ein Arbeitnehmer feststellen lassen, dass seiner Ehefrau nach seinem Tod eine betriebliche Witwenrente zusteht.
Rz. 82
Unproblematisch sind insoweit die Fälle, in denen es sich um eine echte Bedingung (§ 158 BGB) oder Befristung (§ 163 BGB) handelt. So kann die erst bei ihrem tatsächlichen Anfall – also beispielsweise der Durchführung der Reparatur des unfallbeschädigten Fahrzeuges oder der Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges für dieses – erstattungsfähige Umsatzsteuer (§ 249 Abs. 2 S. 2 ZPO) zum Gegenstand eines Feststellungsbegehrens gemacht werden. Auch betagte Forderungen, die im Gegensatz zu befristeten bereits entstanden, aber noch nicht fällig sind, können unschwer Gegenstand einer Feststellungsklage sein.
Rz. 83
Schwieriger stellt sich die Abgrenzung zwischen feststellungsfähigen zukünftigen Ansprüchen aus einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis und nichtfeststellungsfähigen zukünftigen Rechtsverhältnissen dar. Für das Unfallhaftpflichtrecht muss insoweit Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen sein, dass durch das die Haftung begründende Ereignis ein einheitlicher Gesamtanspruch des Geschädigten auf den Ausgleich des verursachten Schadens entsteht. Dieser Anspruch umfasst daher von vornherein auch die dem Geschädigten in Zukunft aus dem Unfallgeschehen erwachsenden Nachteile. Die einzelnen auf deren Ausgleichung gerichteten Forderungen hängen zwar in vielfältiger Weise von der Gestaltung der zukünftigen Verhältnisse ab, gelangen aber nicht erst mit deren Eintritt zur Entstehung, sondern sind als Bestandteile des einheitlichen haftungsrechtlichen Schuldverhältnisses, das mit Begründung der Haftpflicht besteht, von Anfang an gegeben. Dass der Umfang der Erstattungspflicht von einer künftigen und im Einzelnen noch ungewissen Entwicklung abhängt, steht der Annahme eines – gegenwärtigen – Rechtsverhältnisses daher nicht entgegen. Davon zu trennen ist allerdings die Frage, ob – im Hinblick auf die Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung – auch bereits ein Feststellungsinteresse des Geschädigten besteht (siehe unten Rdn 101 f.).
Rz. 84
Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis besteht daher im Falle der Tötung eines einem Dritten zum Unterhalt Verpflichteten (§ 844 Abs. 2 BGB) unabhängig davon, ob alle Voraussetzungen für die Unterhaltspflicht – insbesondere die künftige Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten und die Leistungsfähigkeit des Getöteten – bereits vorliegen; zum Feststellungsinteresse siehe unten Rdn 101 f. Ebenso kann die Feststellung der Erstattungspflicht für den Fall einer zukünftigen Erwerbsunfähigkeit begehrt werden (§ 843 Abs. 1 BGB) oder wegen zukünftig entgangener Dienste (§ 845 BGB). Auch eine Ersatzpflicht aus Billigkeitsgründen (§...