Rz. 101
Geht es dagegen um den Ersatz objektiv noch nicht vorhersehbarer, sondern erst künftig befürchteter Schäden aufgrund einer nach Behauptung des Klägers bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung, so setzt das Feststellungsinteresse weiter zumindest die Möglichkeit dieses Schadenseintritts voraus, mögen Eintritt, Art und Umfang der künftigen Schadensfolgen auch noch nicht feststehen. Diese Möglichkeit ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines derartigen Schadens wenigstens zu rechnen und seinetwegen der Verjährung vorzubeugen. Lässt sich eine Aussage darüber, ob in der Zukunft noch Spätfolgen auftreten können, nicht treffen, dann ist, solange der Eintritt derartiger Schäden nicht ausgeschlossen werden kann, die Möglichkeit von Spätschäden gegeben. Der Geschädigte hat für den Fall, dass es in Zukunft beim Eintritt nicht vorhersehbarer Spätschäden zu einer Schmerzensgeldnachforderung kommt, durchaus ein Interesse daran, schon jetzt in einem unfallnahen Zeitpunkt eine rechtskräftige Entscheidung über den Haftungsgrund herbeizuführen, um diesen für die Zukunft dem Streit der Parteien zu entziehen; ein solches Anliegen muss als ein rechtliches Interesse für die Erhebung einer Feststellungsklage in Bezug auf nicht vorhersehbare Verletzungsfolgen anerkannt werden. Ebenso besteht ein Interesse an der vom Schuldner in Abrede gestellten Feststellung, dass in einer Abfindungsvereinbarung vorbehaltene Ansprüche bestehen und nicht verjährt sind, grundsätzlich unabhängig davon, ob solche Ansprüche bereits entstanden sind.
Zum Wegfall der Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts während des Rechtsstreits siehe unten Rdn 115 f.
Rz. 102
Die Anforderungen an die Darlegungslast bezüglich der Möglichkeit zukünftiger Schäden dürfen nicht überspannt werden, vielmehr bleibt dem richterlichen Ermessen ein weiter Spielraum. Eine bestimmte Vorstellung von den befürchteten späteren Schäden muss der Kläger nicht haben. Insbesondere bei schweren Verletzungen wird der Geschädigte nach der Lebenserfahrung regelmäßig mit nicht vorhersehbaren Spätfolgen zu rechnen haben, auch wenn sie sich bislang noch nicht realisiert haben:
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Entfernung innerer Organe, |
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Querschnittslähmung, |
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schwere Kopfverletzung, |
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Schienbeinfraktur und Kapselausriss linkes Hüftgelenk, |
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schwere Knochenverletzungen, Bruch des linken Schienbeinkopfes, |
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Oberschenkelbruch, |
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nicht ausgeheilte Oberarmfraktur, |
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Knochenverletzung im Bereich des Handgelenks, |
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Schädelfraktur, |
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Beckenringfraktur mit Aussprengung eines gelenknahen Knochenfragments |
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und Arthroserisiko bei Fraktur. |
Rz. 103
Das Interesse an der Feststellung künftiger Ersatzpflicht für einen entgangenen Unterhaltsanspruch ist nicht deshalb zu verneinen, weil mit Rücksicht auf die Höhe der quotenbevorrechtigten Leistungen des Sozialversicherungsträgers Ersatzansprüche weder derzeit gegeben noch in Zukunft zu erwarten sind; denn es ist nicht auszuschließen, dass die Rentenleistungen in Zukunft einmal unter die nach den voraussichtlichen Einkommensverhältnissen des Getöteten während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens geschuldeten Unterhaltsleistungen absinken. Nach dem Tod des Geschädigten ist der Eintritt weiterer Schäden grundsätzlich ausgeschlossen; einer – von den Rechtsnachfolgern fortgeführten – Klage auf Feststellung zukünftiger Schäden fehlt daher sowohl das Feststellungsinteresse als auch die materielle Begründetheit, sie ist folglich als unbegründet abzuweisen (siehe oben Rdn 91). Eine hinreichende Schadenswahrscheinlichkeit ist im Rahmen der Zulässigkeit bei Folgeschäden einer bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung nicht erforderlich.
Rz. 104
Anders verhält es sich hingegen bei der Verletzung einer Norm zum Schutz des Vermögens im Allgemeinen, falls zwar zuvor eine rechtswidrige Handlung in zu vertretender Weise abgeschlossen wurde, aber – mangels des Eintritts der (Primär-)Verletzung eines absoluten Rechts(guts) – noch ungewiss ist, ob sie überhaupt einen Schaden auslösen wird. Hier gebietet es der Schutz des Beklagten, dass eine – nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge hinreichende, summarisch zu prüfende – Wahrscheinlichkeit für den Eintritt irgendeines Schadens für jeden einzelnen künftigen Anspruch wenigstens substantiiert dargetan wird, ehe eine Feststellungsklage – zulässig – anhängig gemacht werden darf; daran fehlt es, wenn der Eintritt irgendeines Schadens noch ungewiss ist. Anderenfalls würde dem möglichen Schädiger – trotz des bestehenden Rechtsverhältnisses – ein Rechtsstreit über gedachte Fragen aufgezwungen, von denen ungewiss wäre, ob sie jemals praktische Bedeutung erlangen könnten. Der Geschädigte erleidet hierdurch regelmäßig keine Nachteile, solange sein möglicher Ersatzanspruch vor dem Eintritt eines Schadens nicht zu verjähren beginnt. Aus Letzter...