Rz. 254
Wesentlich ist eine Änderung der Verhältnisse dann, wenn sie nach Maßgabe des materiellen Rechts zu einer anderen Beurteilung des Bestehens, der Höhe oder der Dauer des Anspruchs führt, und zwar in einer nicht unerheblichen Weise. Die Beurteilung, ob eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse "wesentlich" ist, darf nicht schematisch, sondern muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erfolgen.
Rz. 255
Bei Haftpflichtrenten, die – wie der Ersatz eines Unterhalts- (unter anderem § 844 Abs. BGB) oder Verdienstausfallschadens (unter anderem § 843 BGB) – der täglichen Deckung eines konkret ermittelten Bedarfs dienen und deshalb mit dem Niveau der Lebenshaltungskosten unmittelbar verkoppelt sind, kann als grober Anhaltspunkt für eine Wesentlichkeit der Veränderung die von der Rechtsprechung – insbesondere im Unterhaltsrecht – entwickelte 10 %-Regel dienen: Wesentlich ist danach eine Änderung in der Regel dann, wenn sich bei einer Gesamtsaldierung ergibt, dass zu Lasten des Klägers eine Abweichung von wenigstens etwa 10 % eingetreten ist; es darf nicht nur ein Umstand isoliert gewertet werden. Die "Opfergrenze" kann allerdings im Einzelfall, vor allem bei beengten wirtschaftlichen Verhältnissen, deutlich unter dieser Schwelle liegen.
Rz. 256
Bei Schmerzensgeldrenten, die nicht der Bedarfsdeckung, sondern dem "billigen" Ausgleich der immateriellen Beeinträchtigungen des Geschädigten dienen (unter anderem § 253 Abs. 2 BGB), hängt die Höhe der Entschädigung dagegen von einer umfassenden Würdigung der erlittenen immateriellen Nachteile ab. Es kommt daher für eine grundsätzlich zulässige Abänderung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse darauf an, ob bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Rentenhöhe, des zugrunde gelegten Kapitalbetrags und der bereits gezahlten und voraussichtlich noch zu zahlenden Beträge, die gezahlte Rente ihre Funktion eines "billigen" Schadensausgleichs noch erfüllt oder ob dies nicht mehr der Fall ist und deshalb ihre Anpassung gerechtfertigt ist.
Rz. 257
Die Entwicklung des Lebenshaltungskostenindexes stellt dabei zwar eine im Grundsatz geeignete Bezugsgröße dar, allein dessen Erhöhung um 10 % (siehe oben Rdn 255) reicht hier allerdings zur Feststellung, ob die Schmerzensgeldrente ihre vorgenannte Funktion noch erfüllt, und damit als Abänderungsgrund nicht aus; ansonsten würde letztlich doch eine – nicht gewollte (siehe oben Rdn 49) – "Dynamisierung" der Schmerzensgeldrente erreicht. Dass der bei der ursprünglichen Berechnung der – abzuändernden – Schmerzensgeldrente zugrunde gelegte gesamte Kapitalbetrag des Schmerzensgeldes aufgrund der Abänderung überschritten würde, steht einer solchen nicht ohne Weiteres entgegen; insbesondere liegt darin keine Privilegierung des Geschädigten, der kein kapitalisiertes Schmerzensgeld, sondern eine Rente erhält, da ihm keine sofortige – gewinnbringende – Anlage des Kapitals möglich war. Folglich kann der Gesichtspunkt, dass dem Geschädigten bereits ein erheblicher Teil des der Rentenberechnung seinerzeit zugrunde gelegten Barwerts des Rentenanspruchs zugeflossen ist, für die Frage, ob eine die Abänderung rechtfertigende wesentliche Veränderung der Verhältnisse vorliegt, allenfalls dann eine ausschlaggebende Rolle spielen, wenn konkret vorgetragen wird, dass sich die der Kapitalisierungsberechnung zugrunde liegende Erwartung, die Rentenzahlung könne durch Gewinne aus der Anlage des zunächst beim Schädiger verbleibenden Kapitals bedient werden, nicht erfüllt hat.