Rz. 123

Ein internationaler Entscheidungsdissens stellt den Testamentsgestalter vor besondere Herausforderungen. Zunächst gilt es, die Gefahr eines internationalen Entscheidungsdissenses rechtzeitig zu erkennen und die Folgen abzuschätzen. Dazu muss man die drei Voraussetzungen für den internationalen Entscheidungsdissens kennen:

Aufgrund ausländischer Sachverhaltselemente ist die gleichzeitige Zuständigkeit inländischer und ausländischer Gerichte im Erbfall gegeben. Zwar schließen die Art. 4 ff. EuErbVO im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten eine konkurrierende internationale gerichtliche Zuständigkeit aus. Da für die internationale Zuständigkeit auch nach Art. 10 EuErbVO im Verhältnis zu Drittstaaten z.B. aus deutscher Sicht die Staatsangehörigkeit, die Belegenheit von Nachlass, ein Wohnsitz des Erblassers (nicht unbedingt der Hauptwohnsitz) ausreichen kann, ist dieses Element leicht erfüllt.
Aufgrund der unterschiedlichen Anknüpfung des Erbstatuts in den Staaten, deren Gerichte zuständig sind, werden diese Gerichte den Erbfall (auch nach Berücksichtigung von Rück- und Weiterverweisungen etc.) nach verschiedenen Rechtsordnungen beurteilen.
Die Anwendung der verschiedenen Erbrechte muss dazu führen, dass eine Klage im Ergebnis abweichend entschieden werden würde.
Schließlich sind abweichende Ergebnisse auch wegen unterschiedlicher Behandlung von Vorfragen (Wirksamkeit einer gleichgeschlechtlichen Ehe, Güterstand) möglich.
 

Rz. 124

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich der Internationale Entscheidungsdissens praktisch nur dann negativ auswirken kann, wenn einzelne Beteiligte (enterbte gesetzliche Erben, Pflichtteilsberechtigte u.a.) bereit sind, durch Klage in dem Staat, dessen Rechtslage ihnen günstiger ist, ihre Rechte gegen die anderen Beteiligten durchzusetzen (forum shopping). Das mag bei maßvoll gestalteten Testamenten wegen des finanziellen, intellektuellen oder emotionalen (Pietät) Aufwands in "gesunden" familiären Verhältnissen u.U. unwahrscheinlich sein.

 

Rz. 125

Zur optimalen Nachlassplanung gehört daher, dass die Rechtslage nicht nur aus Sicht des deutschen Rechts, sondern auch nach dem IPR der beteiligten ausländischen Staaten geprüft wird.

 

Rz. 126

Auch ein internationaler Entscheidungsdissens lässt sich meistens in den Griff bekommen, wenn die Berater die Sach- und Rechtslage zuvor genau ermitteln und flexibel, kreativ und analytisch reagieren. Dabei mag es manchmal einfacher sein, die Ursachen für den Dissens zu beheben (siehe Rdn 127). In anderen Fällen ist es besser, den Dissens bestehen zu lassen und durch eine testamentarische Gestaltung zu entschärfen (im Folgenden unter Rdn 128). Wegen der vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten und Interessenlagen kann kein Standardrezept vorgegeben werden. Jeder Fall bedarf einer individuellen Strategie. Die im Folgenden (vgl. Rdn 127 ff.) vorgegebenen Maßnahmen sind daher nur Anregungen, um den Beteiligten die Suche nach der passenden Lösung zu erleichtern.

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