1. Bestimmung des Erbstatuts

 

Rz. 259

Für alle nach dem 17.8.2015 eintretenden Erbfälle richtet sich das auf die Erbfolge anwendbare Recht auch aus niederländischer Sicht nach den Regeln der EuErbVO, Art. 83 EuErbVO.

Für die vor diesem Stichtag und seit dem 1.10.1996 eingetretenen Erbfälle war das Erbstatut aufgrund des Wet Conflictenrecht Erfopvolging bzw. seit dem 1.1.2012 gem. Art. 10:145 Burgerlijk Wetboek entsprechend den Regeln des Haager Erbrechtsübereinkommens vom 1.8.1989 (ErbrÜbk)[136] bestimmt.[137] Dieses Übereinkommen weist zahlreiche Ähnlichkeiten mit der EuErbVO auf, insbesondere haben viele Regeln des Übereinkommens bei der Formulierung der EuErbVO Vorbild gestanden.

 

Rz. 260

Gem. Art. 3 ErbrÜbk gilt das Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wenn er zugleich die Staatsangehörigkeit dieses Staates besaß (1. Stufe: Art. 3 Abs. 1 ErbrÜbk), oder hilfsweise, wenn er dort für die Dauer von mindestens 5 Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte – soweit er nicht offensichtlich mit seinem Heimatstaat enger verbunden war (2. Stufe: Art. 3 Abs. 2 ErbrÜbk). Letztere Ausnahme betrifft z.B. die Fälle, in denen der Erblasser aus beruflichen Gründen vorübergehend im Ausland gelebt hatte oder sich als Rentner in den Süden zurückgezogen hat, ohne dass dort eine soziale und kulturelle Integration stattgefunden hat.[138] Hat der gewöhnliche Aufenthalt noch keine fünf Jahre bestanden, bleibt es schließlich bei der Geltung des Heimatrechts (3. Stufe: Art. 3 Abs. 3 ErbrÜbk).

Art. 5 Abs. 1 ErbrÜbk eröffnete dem Erblasser die vierfache Möglichkeit einer Rechtswahl:

Zitat

Art. 5 ErbrÜbk

(1) Eine Person kann die Erbfolge ihres gesamten Nachlasses dem Recht eines bestimmten Staates unterstellen. Diese Rechtswahl ist nur wirksam, wenn die Person zum Zeitpunkt der Wahl oder ihres Todes Angehöriger dieses Staates war oder dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

(2) Diese Rechtswahl muss in einer Erklärung erfolgen, die den Formerfordernissen einer Verfügung von Todes wegen entspricht. Das Zustandekommen und die materielle Wirksamkeit der Rechtswahl unterliegen dem gewählten Recht. Wenn nach diesem Recht die Rechtswahl unwirksam ist, so bestimmt sich das Erbstatut gem. Art. 3.

(3) Der Widerruf der Rechtswahl durch ihren Urheber muss den Formvorschriften den Widerruf einer Verfügung von Todes wegen entsprechen.

(4) Im Rahmen dieses Artikels ist die Wahl des anzuwendenden Rechts vorbehaltlich einer ausdrücklichen gegenteiligen Anordnung des Erblassers so auszulegen, dass sie sich auf die Erbfolge des gesamten Nachlass des Erblassers bezieht, gleich ob der Erblasser ohne Verfügung von Todes wegen verstorben ist oder sich eine solche auf den gesamten oder eines Teils des Nachlasses bezieht.

Danach konnte der Erblasser also bis zum 16.8.2015 auch das Recht des Staates wählen, in dem er bei Ausübung der Rechtswahl oder im Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalles seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die danach vor dem 16.8.2015 getroffene Rechtswahl bleib auch unter der EuErbVO gem. Art. 83 Abs. 2 EuErbVO weiterhin wirksam.

 

Rz. 261

Die Formwirksamkeit eines Testaments unterliegt aus niederländischer Sicht dem Haager Testamentsformübereinkommen.[139] Allein für die Formwirksamkeit eines Erbvertrags ist also Art. 27 EuErbVO anwendbar.

[136] Text in Staudinger/Dörner, vor Art. 25 EGBGB Rn 111 ff. (mit Kommentar); Ferid/Weber, Niederlande, Texte A. II. Nr. 8; auf der CD-Rom zu: Erbrecht in Europa, Rubrik "Haager Konventionen"; unter www.hcch.net.
[137] Van Mourik/Schols/Schmellenkamp/Tomlow/Weber, Deutsch-Niederländischer Rechtsverkehr in der Notariatspraxis, 1997, S. 144 mit Text und Übersetzung des Gesetzes auf S. 160 ff.; Weber, IPRax 2000, 41.
[138] Brandi, S. 117 ff.
[139] BGBl II 1969, 2200; die Niederlande haben einen Vorbehalt gem. Art. 10 Testamentsformabkommen gegen mündlich errichtete Testamente eingelegt, BGBl II 1982, 684.

2. Gesetzliche Erbfolge und Pflichtteilsrecht

 

Rz. 262

Eigenart des niederländischen materiellen Erbrechts seit der 2003 in Kraft getretenen Erbrechtsreform ist die starke Stellung des überlebenden Ehegatten. Vor der Reform stand entsprechend dem aus Frankreich übernommenen Modell des Code Napoléon die Erbfolge zugunsten der Kinder im Vordergrund. Die Neuregelung dagegen basiert auf dem in der notariellen Gestaltungspraxis mit Billigung durch die Gerichte herausgebildeten Modell der "elterlichen Nachlassteilung". Der Gesetzgeber hat auf diese Weise die niederländische Version des "Berliner Testaments" zum Modell der gesetzlichen Erbfolge erhoben.

In erster Ordnung erben die Abkömmlinge und der Ehegatte (soweit die Eheleute nicht gerichtlich getrennt sind) zu gleichen Teilen. Dem Ehegatten gleichgestellt sind der gleichgeschlechtliche Ehegatte (Art. 1:30 B.W.)[140] und der Lebenspartner aus einer registrierten Lebenspartnerschaft (Art. 4:8 B.W.). Der überlebende Ehegatte erhält nach Auseinandersetzung der Gütergemeinschaft ein sog. besonderes gesetzliches Erbrecht. Damit erwirbt er den gesamten Nachlass zu Eigentum. Die Kinder er...

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