Rz. 87
Die Zulassung des gemeinschaftlichen Testaments stellt im internationalen Vergleich die Ausnahme dar. Zahlreiche Rechtsordnungen verbieten ausdrücklich die gemeinschaftliche Errichtung von Testamenten. In manchen Rechtsordnungen ist dieses wirksam, aber mit keinen besonderen rechtlichen Folgen verbunden. Wohl nur im deutschen Recht gibt es die komplizierte Stufung von Wechselbezüglichkeit, ihren gesetzlichen Vermutungen, Erschwerungen des Widerrufs und Bindungswirkung.
Rz. 88
Unsicherheiten ergeben sich aus dem Streit um die Qualifikation der Zulässigkeit. Teils wird die Zulässigkeit der gemeinschaftlichen Errichtung unter das Erb- bzw. Errichtungsstatut subsumiert. Die in Deutschland wohl überwiegende Ansicht wollte danach differenzieren, wie die Frage in der Rechtsordnung behandelt wird, deren Recht Errichtungsstatut ist (Qualifikation lege causae). Danach galt für einige Länder das Formstatut, für andere Länder wird die Frage unter das Erb- bzw. Errichtungsstatut subsumiert. Für die meisten Länder war nach diesen Abgrenzungskriterien keine Einordnung durchzuführen, weswegen diese Ansicht zu großen Unsicherheiten führte.
Rz. 89
Eine europaweit einheitliche Regelung wird unter der Erbrechtsverordnung gefunden werden müssen. Art. 3 Abs. 1 lit. c EuErbVO enthält eine Definition des gemeinschaftlichen Testaments. Eine Sonderregelung fehlt aber. Da das gemeinschaftliche Testament wegen der entsprechenden Definition auch nicht vom Begriff des "Erbvertrags" erfasst wird (vgl. die Definition in Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO), fällt es m.E. unter die für Testamente geltenden allgemeinen Regeln in Art. 24 EuErbVO. Damit gilt für die materielle Wirksamkeit das an den gewöhnlichen Aufenthalt bei Testamentserrichtung angeknüpfte Errichtungsstatut bzw. das vom Erblasser gewählte Heimatrecht. Die von Kurt Lechner, dem damaligen Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Europäischen Parlament vorgeschlagene Regelung, das gemeinschaftliche Testament entsprechend den Regeln zum Erbvertrag zu behandeln, ist in die endgültige Fassung der EuErbVO nicht eingegangen. Die Frage nach der Qualifikation der Zulässigkeit als Frage der "materiellen Wirksamkeit" oder der Form bleibt unter der EuErbVO daher zunächst weiterhin offen. Eine europaweit einheitliche Qualifikation wird daher im Wege der Rechtsprechung gefunden werden müssen. Bei Personen mit unterschiedlichem Errichtungsstatut dürfte sich in Hinblick auf die hierfür gesicherten Rechtswahlmöglichkeiten ggf. ein Ausweichen auf den Erbvertrag empfehlen.
Rz. 90
Für die Gestaltungspraxis gilt weiterhin die Empfehlung, das gemeinschaftliche Testament im Zweifel zu meiden, wenn zumindest für einen der Ehegatten ein Erbrecht gilt, das das gemeinschaftliche Testament nicht kennt und dieses auch nicht gem. Art. 24 Abs. 2 EuErbVO gewählt werden kann. In diesem Fall käme einer gemeinschaftlichen Errichtung ohnehin keine im Vergleich zur Errichtung von Einzelverfügungen weitergehende Wirkung zu. Mit dem Ausweichen auf die getrennte Errichtung gehen daher allenfalls psychologische Effekte verloren.
Rz. 91
Im Einzelnen dürften die auftretenden Fragen wohl wie folgt aufzuschlüsseln und nach der wohl überwiegenden Ansicht wie folgt zu lösen sein – wobei noch vieles streitig ist:
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Zulässigkeit der Zusammenfassung der Verfügungen mehrerer Personen in einer Urkunde: Nach Ansicht der früher wohl überwiegenden Ansicht soll der Zweck des ausländischen Verbots der gemeinschaftlichen Errichtung entscheiden – im Zweifel schlug man es pauschal dem Errichtungsstatut zu (Ausnahmen: Frankreich, Niederlande). Unter der EuErbVO scheint sich die Ansicht durchzusetzen, dass es sich um eine Frage der "Zulässigkeit" der Testamentserrichtung handelt, so dass gem. Art. 24 Abs. 1 bzw. Art. 25 Abs. 1 EuErbVO das Errichtungsstatut gilt. |
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Formwirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments: Es gilt das Testamentsformstatut gem. Art. 27 Abs. 1 EuErbVO bzw. Art. 1 TestFormÜbk. Allerdings soll dieses Recht nach wohl überwiegender Ansicht nicht darüber entscheiden, ob die gemeinschaftliche Errichtung in einer Urkunde zulässig ist. |
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Gesetzliche Vermutung der Wechselbezüglichkeit der in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Verfügungen: Frage des für die jeweilige Verfügung geltenden Errichtungsstatuts. |
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Besondere Voraussetzungen für den einseitigen Widerruf der gemeinschaftlichen Verfügung: Frage des für die jeweilige Verfügung geltenden Errichtungsstatuts, Art. 24 Abs. 3 EuErbVO. |
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Bindungswirkung der im gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Verfügungen: Frage des für die jeweilige Verfügung geltenden Errichtungsstatuts (nach anderer Ansicht "Kumulation" der betroffenen Rechte). |