a) Abfindungspoker
Rz. 165
Zentraler Punkt jeder Trennungsverhandlung aufgrund arbeitgeberseitiger Veranlassung ist die Abfindung für den Arbeitnehmer. Daher werden Aufhebungsverträge z.T. auch als Abfindungsverträge bezeichnet. Nach vielfach anzutreffender – aber in dieser Verallgemeinerung unzutreffender – Auffassung soll der Arbeitgeber stets verpflichtet sein, dem Arbeitnehmer eine entsprechende Abfindung zu zahlen. Richtigerweise besteht jedoch ein solcher Rechtsanspruch lediglich im Fall des § 1a KSchG (vgl. zur Abgrenzung eines Anspruches nach § 1a KSchG mit einem Angebot auf Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 536/15; vgl. BAG v. 10.7.2008 – 2 AZR 209/07, NZA 2008, 1292 = DB 2009, 124; vgl. ferner BSG v. 8.12.2016 – B 11 AL 5/15 R, wonach eine Abfindung nach § 1a KSchG keine Entlassungsentschädigung ist, die zu einem Ruhen des Arbeitslosengeldanspruches nach 158 SGB III führen könnte) oder wenn ein Sozialplan aus Anlass einer Betriebsänderung gem. § 112 BetrVG einen Abfindungsanspruch regelt, oder wenn eine Tarifvertragsbestimmung oder Betriebsvereinbarung dies ausnahmsweise vorsieht (vgl. zur Zulässigkeit der Berücksichtigung einer vorgezogenen Altersrente bei der Bemessung der Sozialplanabfindung BAG v. 26.3.2013 – 1 AZR 813/11). Gleichfalls lässt sich ein solcher Rechtsanspruch aus einer betrieblichen Übung ableiten oder aber, was allerdings recht selten vorkommt, aus einer einzelvertraglichen Abfindungsvereinbarung bereits für den Fall der Trennung (vgl. § 17 Rdn 312 ff. GmbH-Geschäftsführer bzw. des Change of Control vgl. § 16 Rdn 336) im Anstellungsvertrag zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter. Selbst wenn ein Arbeitgeber Angestellte per Anzeige zum Stellenwechsel motiviert und mit einer Abfindung lockt, verpflichtet er sich damit nach Auffassung des BAG nicht, diese zu zahlen. Dies müsse ausdrücklich individuell oder kollektiv vereinbart sein (vgl. BAG v. 25.1.2000 – 9 AZR 140/99, BB 2000, 1577 = NZA 2000, 879). Regelmäßig besteht daher kein Rechtsanspruch auf Zahlung einer Abfindung. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber, die bspw. wegen schlechter Auslastung und unter Beachtung der richtigen sozialen Auswahl und der Kündigungsfristen und sonstigen Formvorschriften ausgesprochen wurde, ist ohne Zahlung einer Abfindung wirksam. Jedoch finden sich nur selten so völlig klare und eindeutige Fälle. Im Prinzip findet daher ein "Abfindungspoker" statt, der sich aber vielfach an im Wesentlichen festen Regeln – nämlich den "ungewissen" Erfolgsaussichten eines fiktiven, ansonsten geführten Kündigungsschutzprozesses – orientiert. Diese Chancen sind sorgfältig abzuwägen.
b) Abfindung in Kleinbetrieben gem. § 23 KSchG
Rz. 166
Bei dem "Abfindungspoker" ist zu berücksichtigen, dass für sog. Neu-AN (Def.: Beginn des Arbeitsverhältnisses nach dem 31.12.2003) in Kleinbetrieben, in denen i.d.R. zehn oder weniger Arbeitnehmer (ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung beschäftigten Mitarbeiter) beschäftigt werden, der allgemeine Kündigungsschutz des § 1 KSchG gem. § 23 KSchG keine Anwendung findet (§ 23 S. 3 Hs. 1 KSchG). Bis zur Erhöhung des Schwellenwerts zum 1.1.2004 lautete der Schwellenwert "in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer". Zur Besitzstandswahrung für diese sog. Alt-AN (Def.: Beginn des Arbeitsverhältnisses vor dem 31.12.2003) bleibt es beim Kündigungsschutz aus § 1 KSchG, wenn in dem Betrieb mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden, wobei bis zur Beschäftigung von insgesamt zehn Arbeitnehmern nur Alt-AN zählen (§ 23 S. 2 und S. 3 Hs. 2 KSchG); vgl. zum Verlust des Kündigungsschutzes bei Übergang auf einen Kleinbetrieb BAG v. 19.7.2016 – 2 AZR 468/15; BAG v. 15.2.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739 = BB 2007, 1453; vgl. zu Altfällen bei anderen Schwellenwerten BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 840/05, NZA 2007, 438 = DB 2007, 691). Geschäftsführer zählen bei der Ermittlung der Mitarbeiterzahl nicht mit, unabhängig davon, ob ihr Beschäftigungsverhältnis (ausnahmsweise) die Kriterien eines Arbeitsverhältnisses erfüllt (vgl. BAG v. 27.4.2021 2 AZR 540/20, juris Rn 25). In Kleinbetrieben dieser Größenordnung besteht grds. für sämtliche Mitarbeiter kein Kündigungsschutz nach dem KSchG, sodass es daher auf die etwaige Sozialwidrigkeit von Kündigungen und die Erfolgsaussichten eines Kündigungsschutzprozesses nicht ankommt. In solchen Fällen sind in Aufhebungsvereinbarungen vereinbarte Abfindungen eher selten anzutreffen, da kein Prozessrisiko für den Arbeitgeber besteht, dass die Kündigung sozialwidrig sein könnte.
Insofern kommt § 23 KSchG für Betriebe dieser Größenordnung eine große Bedeutung zu. Die Vorschrift privilegiert zulässig Kleinbetriebe (vgl. BAG v. 13.6.2002 – 2 AZR 327/01 Konzernholding; BAG v. 19.4.1990, DB 1991, 176 = NZA 1990, 724; EuGH v. 30.11.1993, AP Nr. 3 zu Art. 92 EWG-Vertrag = EzA § 23 KSchG Nr. 13, ferner BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, DB 1998, 826 und DB 1998, 829), weil bei diesen die persönliche Zusammenarbeit im Vordergrund steht und die finanziellen Belastungen des Kündigungsschutzes unzumutbar erscheinen. Gle...