a) Freie Vereinbarkeit – keine Angemessenheitskontrolle nach AGB
Rz. 175
I.R.d. Verhandlungen um eine Abfindung ist den Parteien hinsichtlich der Höhe nach oben oder nach unten keine Grenze gesetzt. Eine Aufhebungsvereinbarung ist nicht deshalb unwirksam, weil überhaupt keine Abfindung festgesetzt wird. Umgekehrt gibt es keine obere Begrenzung. Als Hauptleistung unterliegt die Abfindung keiner Angemessenheitskontrolle unter AGB-Aspekten (vgl. Klumpp, in: Clemenz/Kreft/Krause, § 307 Rn 132).
b) Maßstab der §§ 9, 10 KSchG
Rz. 176
Ein erster Verhandlungseckwert zur Höhe stellt der Maßstab der §§ 9, 10 KSchG dar. Danach ist für den Fall der Aufhebung des Anstellungsverhältnisses nach dem Obsiegen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess, d.h. bei sozialwidriger Kündigung durch den Arbeitgeber, gem. § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG eine angemessene Abfindung zu zahlen.
Rz. 177
§ 10 KSchG enthält dazu Konkretisierungen. Gem. § 10 Abs. 1 KSchG ist als Abfindung ein Betrag bis zu 12 Monatsverdiensten festzusetzen. Sofern der Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens 15 Jahre bestanden hat, so ist gem. § 10 Abs. 2 KSchG ein Betrag bis zu 15 Monatsverdiensten vom Gericht festzusetzen. Hat der Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden, ist ein Betrag bis zu 18 Monatsverdiensten als Abfindungsbetrag festzusetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer zum Stichtag der Auflösung bereits sein normales Rentenalter erreicht hat (§ 10 Abs. 2 S. 2 KSchG).
c) Faktor
Rz. 178
Ansonsten hat sich vielfach – aber keinesfalls stets – ein halber Monatsverdienst pro Jahr der Betriebszugehörigkeit (sog. Regelabfindung) durchgesetzt (vgl. Anton-Dyck/Böhm, ArbRB 2020, 28 ff., mit einem Rechtsprechungsüberblick zur Höhe der Abfindung bei Auflösungsanträgen nach § § 9,10 KSchG). Es gibt unzählige unterschiedlich gelagerte Einzelfälle, worin andere Modelle oder der Faktor ¼ oder ¾ oder auch oberhalb von 1,0 bis 1,5 im Einzelfall zugrunde gelegt werden. Bei Führungskräften liegt der Faktor vielfach bei bis zu 1,0 (vgl. LAG Düsseldorf v. 15.9.2021 – 12 Sa 10/21, Rn 178, 179 zu erhöhenden und mindernden Kriterien).
Rz. 179
Sondersituationen sind gegeben, wenn betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind oder bspw. ein Personalabbau forciert werden soll. Dann verändern sich die Rahmenbedingungen nach oben. Unternehmen machen in solchen Situationen freiwillige Angebote, die sich an anderen Kriterien orientieren. So gibt es Modelle wie die Zahl der Beschäftigungsjahre plus Lebensalter geteilt durch 45. Die so ermittelte Zahl bildet den Faktor. Eine andere Möglichkeit ist die sogenannte Punktwertmethode, bei der sehr viele Einflussfaktoren aus dem persönlichen Bereich des Arbeitnehmers, aber auch die finanzielle Lage des Unternehmens jeweils mit unterschiedlichen Mengen von Punkten einfließen können. Eine weitere Variante ist unter Zugrundelegung des Alters des Beschäftigten eine Multiplikation mit dem Monats-Bruttogehalt mal Jahre der Betriebszugehörigkeit geteilt durch 25 zuzüglich etwaiger sozialer Zusatzbeträge, wie für unterhaltspflichtige Kinder. Manche Unternehmen bieten zusätzlich einen Zuschlag (Turboprämie), für diejenigen, die sich schnell entscheiden (vgl. zum sog. "Windhundprinzip" LAG Düsseldorf v. 12.4.2016 – 14 Sa 1344/15; vgl. zu einer freiwilligen Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG mit zusätzlichen Anreizen zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags BAG v. 18.5.2010 – 1 AZR 187/09, NZA 2010, 1304 = DB 2010, 2059). Turboprämien sehen regelmäßig einen Klageverzicht vor; dies ist zulässig (vgl. BSG v. 3.5.2006 – 4 AZR 189/05; BSG v. 31.5.2005 – 1 AZR 254/04). Stichtagsregelungen sind für Turboprämien zulässig, um schnelle Aufhebungsverträge zu honorieren (vgl. BAG v. 18.5.2010 – 1 AZR 187/09).
d) Einflussfaktoren
Rz. 180
Bemessungs-/Verhandlungsfaktoren sind generell:
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Lebensalter des Mitarbeiters, |
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Dauer des Anstellungsverhältnisses, |
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Höhe des Arbeitsentgeltes (sämtliche Geld- und Sachbezüge), |
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Familienstand des Mitarbeiters, Anzahl unterhaltspflichtiger Personen, Gesundheitszustand, |
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Vermittlungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt/Lage auf dem Arbeitsmarkt, |
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Wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers, |
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Grad/Maß der Sozialwidrigkeit der Kündigung, |
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Verschulden des Mitarbeiters bei der Verursachung der Auflösungsgründe, |
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Verlust verfallbarer Altersversorgungs-Anwartschaften, |
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Ausgleich ideeller Nachteile, wie psychische Belastung und gesellschaftliches Ansehen. |
e) Gleichbehandlungsgrundsatz – Sozialplanregelungen
Rz. 181
Soweit an mehrere Arbeitnehmer nach einem bestimmten Schlüssel Abfindungen wegen einer betrieblich veranlassten Aufhebung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden, ist der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten (vgl. Küttner/Schmidt, Personalbuch 2022, Abfindung, Rn 3). Gleichbehandlung kann allerdings nur verlangt werden, wenn eine vergleichbare Beendigung des Arbeitsverhältnisses angestrebt wird. Davon ist nicht auszugehen, wenn im Rahmen eines Betriebsüberganges nach § 613a BGB von vornherein eine Eigenkündigung und die nachfolgende Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen vorbereitet wurde (vgl. BAG v. 22...