Rz. 418

Der 2. Senat des BAG hat mit einer grundlegenden Entscheidung die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrages bestätigt, den die Arbeitnehmerin wegen Überrumpelung, Ausnutzung eines strukturellen Ungleichgewichtes sowie widerrechtlicher Drohung nicht gelten lassen wollte (vgl. BAG v. 30.9.1993 – 2 AZR 268/93, DB 1994, 279 = NZA 1994, 209; a.A. LAG Hamburg v. 3.7.1991, NZA 1992, 309 = LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 6). Gegen diese Entscheidung hat es z.T. kritische Stimmen mit der Begründung gegeben, der 2. Senat des BAG hätte bei seiner Entscheidung die Rspr. des BVerfG zur Inhaltskontrolle von Individualverträgen nicht ausreichend beachtet (vgl. Dieterich, RdA 1995, 129; ders. zurückhaltender, NZA 1996, 673, 676). Dennoch hat der 2. Senat des BAG in seiner Entscheidung v. 14.2.1996 (2 AZR 75/18, juris) bestätigt, dass eine Aufhebungsvereinbarung nicht schon deshalb unwirksam sei, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht eingeräumt habe (erneut bestätigt von BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, juris Rn 34). Das Argument, der Arbeitnehmer sei beim Abschluss von Aufhebungsverträgen in einer Verhandlungsposition struktureller Unterlegenheit, stehe nicht entgegen; denn beim Abschluss von Aufhebungsverträgen fehle es an der strukturell ungleichen Verhandlungsstärke des Arbeitnehmers (vgl. BAG v. 14.2.1996, NZA 1996, 811 = NJW 1996, 2593).

 

Rz. 419

Ebenso hat das LAG Mecklenburg-Vorpommern (v. 6.7.1995 – 1 Sa 629/94, NZA 1996, 535) entschieden, dass ein Auflösungsvertrag nicht allein deshalb unwirksam oder anfechtbar sei, weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht eingeräumt und ihm auch das Thema des beabsichtigten Gespräches vorher nicht mitgeteilt hat. I.R.d. verfassungsrechtlich geschützten Privatautonomie obliege es zunächst jeder Partei selbst, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen. Der Arbeitgeber ist nicht von vornherein gehalten, ein gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtetes Interesse des Arbeitnehmers besonders zu fördern. Die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers schließe grds. die Möglichkeit ein, voreilig und ohne hinreichende rationale Überlegung Willenserklärungen abzugeben, wie es auch jedem anderen Teilnehmer am Rechtsleben geschehen kann. Der Arbeitnehmer habe kein allgemeines Reuerecht. Beim Auflösungsvertrag lägen die Dinge anders als bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Bei der Begründung hätten die Arbeitnehmer vielfach keine andere Wahl, als auf die vom Arbeitgeber gesetzten Bedingungen einzugehen. Insofern sei grds. davon auszugehen, dass Aufhebungsvereinbarungen, seien es gerichtliche oder außergerichtliche, wirksam seien.

 

Rz. 420

Das Einräumen einer Bedenkzeit bedeutet indes nicht, dass dadurch quasi automatisch die Widerrechtlichkeit einer Drohung beseitigt werden könnte (vgl. BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348 = BB 2008, 564 m. Anm. Reufels, ArbRB 2008, 105; s.u. Rdn 423). Ohne Hinzutreten weiterer Umstände ändert eine dem Arbeitnehmer eingeräumte Bedenk- und Beratungszeit mit einem Betriebsratsmitglied nichts an der Ursächlichkeit der Drohung für den späteren Abschluss eines Aufhebungsvertrags (vgl. LAG Hamm v. 1.2.2017 – 4 Sa 831/61).

a) Anfechtung wegen Androhung der Anfechtung des Arbeitsvertrags

 

Rz. 421

Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrages über seinen beruflichen Werdegang arglistig getäuscht, darf der Arbeitgeber bei der Verhandlung über den Abschluss des Aufhebungsvertrages damit drohen, von dem Anfechtungsrecht für den Fall Gebrauch zu machen, dass der Arbeitnehmer nicht bereit ist, in den Aufhebungsvertrag einzuwilligen (vgl. LAG Köln v. 13.11.1995 – 3 Sa 832/95, LAGE § 123 BGB Nr. 23). Fragen zum beruflichen Werdegang sind regelmäßig uneingeschränkt zulässig (vgl. Richardi/Thüsing, BetrVG, § 94 Rn 22 m.w.N.)

b) Anfechtung wegen Androhung einer Kündigung

 

Rz. 422

Die Androhung eines Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung beenden zu wollen, falls der Arbeitnehmer nicht selbst kündige oder einen Aufhebungsvertrag abschließe, stellt die Ankündigung eines zukünftigen empfindlichen Übels dar, dessen Verwirklichung in der Macht des ankündigenden Arbeitgebers liegt (vgl. BAG v. 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841). Wirksam kann der Arbeitnehmer den daraufhin abgeschlossenen Aufhebungsvertrag anfechten, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte (vgl. in st. Rspr. BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 474/14; BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348 = BB 2008, 564 Vorwurf der Gefährdung des Mandantenpotenzials durch einen angestellten Rechtsanwalt; BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 832/98, NZA 2000, 27 Vorwurf der Gleitzeitmanipulation; BAG v. 21.3.1996, NZA 1996, 1030 = DB 1996, 1879 zum Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung bei angeblich vorgetäuschter Erkrankung). Dies gilt je nach den Umständen des Einzelfalles auch, wenn Vorgesetzte eine außerordentliche Kündigung in Aussicht stellen, die ersichtlich nicht selbst kündigungsberech...

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