Rz. 1
Die Bedeutung arbeitsrechtlicher Aufhebungsvereinbarungen ist in der Praxis erheblich. Dies gilt umso mehr als seit Oktober 2007 aufgrund der neuen Rspr. des BSG (12.7.2006 – B 11a AL 47/05 R, NZA 2006, 1359 = DB 2006, 2521) die Sperrzeitproblematik beim Alg in der für die Praxis bis dahin maßgeblichen DA der BA zu § 144 SGB III (heute: FW der BA = Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 159 SGB III, neu gefasst aufgrund der systematischen Neuordnung des SGB III im Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt – Eingliederungschancengesetz, BGBl I 2011, 2854 ff.) grundlegend reformiert wurde (s.u. Rdn 11 ff.). Ziel des Aufhebungsvertrages ist es regelmäßig, das Anstellungsverhältnis für beide Seiten schnell, fair und geräuschlos zu beenden.
Rz. 2
Ein wichtiger Grund ist die Vermeidung eines langen Prozesses. Die Risiken über den Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens bestehen für beide Vertragsparteien. Arbeitsgerichtliche Auseinandersetzungen sind vielfach nur schwer kalkulierbar und enden z.T. mit einem überraschenden Ergebnis. Lange und teilweise über Jahre durch mehrere Instanzen ausgetragene Streitigkeiten nützen in aller Regel weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitnehmer. Obsiegt der Arbeitgeber, hat der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz verloren, erhält keine Abfindung und hat zusätzlich die Gerichts- und seine Anwaltskosten zu tragen. Unterliegt der Arbeitgeber, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer grds. nicht nur weiterbeschäftigen, sondern neben den Verfahrenskosten auch Verzugslohn für die Zeit der Nichtbeschäftigung – dies kann sechs Monate, aber wegen der Überlastung der ArbG, allein bei der 1. Instanz auch mehr als ein Jahr sein – zahlen, ohne eine Gegenleistung des Arbeitnehmers erhalten zu haben. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens stets mit dem Einsatz von viel Zeit und Nerven verbunden ist. Im Gegensatz zu diesem Prozessrisiko bietet die Aufhebungsvereinbarung Rechtssicherheit mit genau kalkulierbaren Größen.
Rz. 3
Spezielle Vorteile für den Arbeitgeber liegen darin, dass das Anstellungsverhältnis beim klassischen Aufhebungsvertrag ohne Einhaltung von Kündigungsfristen, unabhängig davon, ob es sich dabei um gesetzliche, tarifliche oder einzelvertragliche handelt, jederzeit durch den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung beendet werden kann. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages ist nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit zulässig (§§ 241, 311 BGB). Weder muss der Arbeitgeber einen Grund für sein Angebot auf vorzeitige Beendigung der arbeitsvertraglichen Beziehungen benennen, noch ist die Wirksamkeit der daraufhin getroffenen Vereinbarungen vom Vorliegen eines sachlichen Grundes zur Beendigung abhängig (vgl. BAG v. 7.3.2002, DB 2002, 2070). Der Arbeitgeber ist auch nicht gezwungen, den Betriebsrat gem. § 102 BetrVG vor Abschluss der Aufhebungsvereinbarung anzuhören (vgl. aber zur erforderlichen Betriebsratsanhörung bei Kündigung mit nachfolgendem Abwicklungsvertrag, BAG v. 28.6.2005 –1 ABR 25/04, NZA 2006, 48 = DB 2005, 2827 verabredete Kündigung kein Scheingeschäft). Ferner greift kein allgemeiner Kündigungsschutz für den jeweiligen Mitarbeiter ein, d.h. der Arbeitgeber benötigt keinen personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Grund für den Abschluss der Aufhebungsvereinbarung. Es muss keine soziale Auswahl vorgenommen werden. Aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit ergibt sich auch, dass der Arbeitgeber keinen besonderen Kündigungsschutz bei dem Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung zu beachten hat.
Rz. 4
Dies gilt für Aufhebungsverträge mit:
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Betriebsratsmitgliedern, |
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Mitgliedern der Jugend- und Ausbildungsvertretung, |
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schwangeren Mitarbeiterinnen, |
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Müttern nach der Entbindung, |
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Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen in Elternzeit, |
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Schwerbehinderten, |
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unkündbaren (ordentlich nicht kündbaren) Arbeitnehmern. |
Mit Blick auf etwaiges Arbeitslosengeld für Schwerbehinderte sind die FW der BA (= Fachliche Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 159 SGB III, Stand 8/2022, gültig ab 1.9.2022) zu berücksichtigen. Nach FW 159.1.2.1 S. 1 t) liegt ein wichtiger Grund insbesondere vor, wenn der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX) oder der für die Zustimmung nach § 18 BEEG zuständigen Stelle zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch ihn nicht eingeholt hat, aber mit dieser zu rechnen gewesen wäre. Im Falle der einvernehmlichen Lösung des Arbeitsverhältnisses ist gegebenenfalls der Nachweis zu erbringen, dass das Integrationsamt der arbeitgeberseitigen Kündigung zugestimmt hätte.
Rz. 5
Die Zustimmung staatlicher Behörden, wie z.B. die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes bei der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber (vgl. §§ 85 ff. SGB IX), ist nicht erforderlich. Nur im (hoffentlich wenig relevanten) Verteidigungsfall, ist die Zustimmung der BA unter den Voraussetzungen der §§ 3, 7 Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG) einzuholen.
Rz. 6
Für den Arbeitneh...