Rz. 422
Die Androhung eines Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis durch eine außerordentliche Kündigung beenden zu wollen, falls der Arbeitnehmer nicht selbst kündige oder einen Aufhebungsvertrag abschließe, stellt die Ankündigung eines zukünftigen empfindlichen Übels dar, dessen Verwirklichung in der Macht des ankündigenden Arbeitgebers liegt (vgl. BAG v. 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841). Wirksam kann der Arbeitnehmer den daraufhin abgeschlossenen Aufhebungsvertrag anfechten, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte (vgl. in st. Rspr. BAG v. 21.4.2016 – 8 AZR 474/14; BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348 = BB 2008, 564 Vorwurf der Gefährdung des Mandantenpotenzials durch einen angestellten Rechtsanwalt; BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 832/98, NZA 2000, 27 Vorwurf der Gleitzeitmanipulation; BAG v. 21.3.1996, NZA 1996, 1030 = DB 1996, 1879 zum Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung bei angeblich vorgetäuschter Erkrankung). Dies gilt je nach den Umständen des Einzelfalles auch, wenn Vorgesetzte eine außerordentliche Kündigung in Aussicht stellen, die ersichtlich nicht selbst kündigungsberechtigt sind (vgl. BAG v. 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, NZA 2006, 841 Angestellter der Wachpolizei im Polizeipräsidium). Hat der Drohende an der Erreichung des verfolgten Zwecks kein berechtigtes Interesse oder ist die Drohung nach Treu und Glauben nicht mehr als angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks anzusehen, ist die Drohung rechtswidrig (vgl. BAG v. 21.4. 2016 – 8 AZR 474/14; LAG Rheinland-Pfalz v. 21.9.2017 – 5 Sa 61/17). Das bloße Ausnutzen einer seelischen Zwangslage stellt noch keine Drohung dar (BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 644/94, NZA 1996, 875 = BB 1996, 434; BAG v. 7.6.1988, BB 1988, 1549 = NJW 1988, 2599). Der Bedrohte muss einer Zwangslage ausgesetzt sein, die ihm subjektiv das Gefühl gibt, sich nur zwischen zwei Übeln entscheiden zu können (vgl. BAG v. 13.12.2007 – 6 AZR 200/07, NZA 2008, 803 = DB 2008, 2483). Andererseits muss die Drohung nicht ausdrücklich, sie kann vielmehr auch durch schlüssiges Verhalten ausgesprochen werden (BAG v. 9.3.1995 – 2 AZR 644/94, NZA 1996, 875 = BB 1996, 434; BAG v. 30.9.1993, DB 1994, 279 = NJW 1994, 1021). Die Mitteilung an einem Arbeitnehmer im Büro des Personalleiters, dass dem Arbeitnehmer die Wahl verbleibt, entweder eine verhaltensbedingte Kündigung zu erhalten oder aber einen Aufhebungsvertrag abzuschließen, wird regelmäßig eine Zwangslage bedeuten. Wurde indes bereits zuvor eine Kündigung ausgesprochen, kann jedenfalls keine Drohung mit einer Kündigung mehr vorliegen. Dies verändert die etwaige Zwangssituation.
Rz. 423
Soweit eine Zwangslage besteht, ist entscheidend, ob das Tatbestandsmerkmal der Widerrechtlichkeit verwirklicht ist, was gerichtlich voll überprüfbar ist. Nicht erforderlich ist, dass die in Aussicht gestellte Kündigung wirksam gewesen wäre, es kommt auf die objektiv mögliche sachgerechte Beurteilung des verständigen Arbeitgebers an (BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348 = BB 2008, 564; BAG v. 6.12.2001, NZA 2002, 731 = DB 2002, 1328; BAG v. 16.1.1992, NZA 1992, 1023 = EzA § 123 BGB Nr. 36; BAG v. 30.1.1986, NZA 1987, 91; Weber/Ehrich, NZA 1997, 414 ff.). Droht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mit einer fristlosen Kündigung, die ein verständiger Arbeitgeber nicht in Betracht gezogen hätte, um den Arbeitnehmer zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu veranlassen, wird die Widerrechtlichkeit der Drohung nicht durch eine dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber eingeräumte Bedenkzeit beseitigt. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände ändert eine dem Arbeitnehmer eingeräumte Bedenkzeit auch nichts an der Ursächlichkeit der Drohung für den späteren Abschluss des Aufhebungsvertrages. Für eine von der Drohung nicht mehr maßgeblich beeinflusste Willensbildung spricht jedoch, dass der Anfechtende die Bedenkzeit dazu benutzt hat, die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung durch aktives Verhandeln – z.B. neue eigene Angebote – erheblich zu seinen Gunsten zu beeinflussen, insb. wenn er selbst rechtskundig ist oder zuvor Rechtsrat eingeholt hat bzw. aufgrund der Dauer der eingewandten Bedenkzeit hätte einholen können (vgl. BAG v. 28.11.2007 – 6 AZR 1108/06, NZA 2008, 348 = BB 2008, 564 Androhung der fristlosen Kündigung wegen des Vorwurfes der Gefährdung des Mandantenpotenziales ggü. einem angestellten Rechtsanwalt).
Rz. 424
Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen, die die angedrohte Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 16.1.2007 – 4 Ta 262/06, LNR 2007, 16026 Darlegung durch wen und wie die widerrechtliche Drohung erfolgte; BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 396/00, NZA 2002, 731 = DB 2002, 1328; BAG v. 12.8.1999, NZA 2000, 279). Behauptungen reichen nicht aus. Der Arbeitnehmer muss darlegen und beweisen, dass ein verständiger Arbeitgeber nicht annehmen durfte, die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses sei unzumutbar und deshalb die Kündigu...