Rz. 204

Für Abfindungen – bzw. in der Terminologie des Steuerrechtes Entschädigungen – kommt lediglich eine Steuerbegünstigung i.S.v. §§ 24, 34 EStG in Betracht.

aa) Drastische Einschnitte bei der Steuerbegünstigung

 

Rz. 205

Allerdings hat der Gesetzgeber nicht nur bei den Steuerfreibeträgen, sondern auch bei den Steuerbegünstigungen drastische Einschnitte vorgenommen. Mit dem sog. Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999 (BGBl I, 402) wurde mit Wirkung zum 1.1.1999 eine massive Streichung steuerlicher Vorteile bei den Entschädigungen eingeführt. Die Regelung, wonach eine Steuerbegünstigung nach den §§ 24, 34 EStG mit dem halben durchschnittlichen Steuersatz (= Tarifbegünstigung) regelmäßig zur Anwendung kam, durfte letztmalig für den VZ 1998 angewendet werden. Seitdem ist der vorteilhafte halbe durchschnittliche Steuersatz für Abfindungen abgeschafft.

bb) Fünftel-Regelung

 

Rz. 206

Nach der Regelung der §§ 24, 34 EStG werden die steuerpflichtigen Abfindungsbeträge nach der sog. Fünftel-Regelung (Begriff in der Terminologie des BFH, vgl. u.a. BFH v. 2.9.2021 – VI R 19/19, juris Rn 1; BFH v. 6.11.2002 – XI R 42/01, NZA 2003, 604 = DB 2003, 422; BFH v. 10.7.2008 – IX R 84/07; z.T. wird auch der Begriff Fünftelungsregelung verwandt) besteuert, die den steuerpflichtigen Teil der Abfindung rechnerisch auf fünf Jahre verteilt. Eine weitere Steuerbegünstigung gibt es nicht (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit, BFH v. 6.11.2002 – XI R 42/01, NZA 2003, 604 = DB 2003, 422).

cc) Steuerliche Minimalbegünstigung nach der Fünftel-Regelung

 

Rz. 207

Für die Praxis bedeutet dies eine erhebliche Verschlechterung, da ab 1.1.1999 für Abfindungen nur eine steuerliche Minimalbegünstigung besteht. Hinzukommt, dass im Zuflussjahr mit steigendem Einkommen der steuerliche Effekt abnimmt. Im Spitzensteuerbereich greift sogar i.d.R. de facto gar keine Steuerermäßigung für Abfindungen mehr, da die Fünftel-Regelung durchgerechnet regelmäßig nicht günstiger als die normale Lohnsteuerbelastung ist. Die reguläre Besteuerung entspricht dann der Besteuerung durch die Fünftel-Regelung. Führt die Abfindung zusammen mit anderen Einkünften im Zuflussjahr dazu, dass zusätzlich die sog. Reichensteuer (3 % auf 42 % = 45 %) anfallen würde, so kann durch die rechnerische Verteilung auf fünf Jahre nach der Fünftel-Regelung diese im Einzelfall ggf. vermieden werden (vgl. zu dem etwaigen verbliebenen Steuersparpotenzial durch Ausnutzung der Vervielfältigungsregelung bei der Direktversicherung, unten Rdn 306 ff.).

 

Praxistipp

1. Es empfiehlt sich, die genauen Nettowerte der Abfindung – ggf. unter Hinzuziehung eines Steuerberaters – frühzeitig zu ermitteln bzw. Modellrechnungen zu machen, damit es nachher keine unangenehmen Überraschungen gibt.
2. Zu berücksichtigen ist, dass im Zuflussjahr mit steigendem Einkommen der steuerliche Effekt abnimmt.
 

Rz. 208

Gem. § 34 Abs. 1 S. 2 EStG beträgt die für die Abfindung anzusetzende ESt das Fünffache des Unterschiedsbetrags

zwischen der ESt für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und
der ESt für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich 1/5 dieser Einkünfte.

dd) Berechnung der Steuerbegünstigung nach der Fünftel-Regelung

 

Rz. 209

Aus dieser für die praktische Handhabung nicht ganz einfachen gesetzlichen Regelung folgt für die Praxis letztlich eine Vierstufigkeit zur Ermittlung der gültigen Steuerpflicht (Berechnungsmodell):

 

Rz. 210

 

Hinweis (zur Berechnung der Fünftel-Regelung in vier Stufen)

Berechnung des steuerbegünstigten Betrags der Abfindung gem. §§ 24, 34 EStG:

Erste Stufe:

Ermittlung der tariflichen ESt für das zu versteuernde Einkommen abzüglich Abfindung gem. Grund- oder Splittingtarif. Dies ergibt einen Betrag i.H.v. … EUR.

Zweite Stufe:

Ermittlung der tariflichen ESt für das Einkommen gem. Grund- oder Splittingtarif zuzüglich 1/5 der Abfindung. Dies ergibt einen Betrag i.H.v. … EUR.

Dritte Stufe:

Ermittlung der Differenz des in Stufe 1 und Stufe 2 ermittelten Betrages.

Vierte Stufe:

Multiplikation des Differenzbetrages mit dem Faktor 5.

Der Gesamtbetrag der Steuerbelastung i.S.d. § 34 EStG ergibt sich aus der Addition der Beträge der 1. und der 4. Stufe.

 

Rz. 211

Das Berechnungsmodell zu § 34 Abs. 1 S. 2 EStG macht deutlich, dass die gesetzliche Fünftel-Regelung nicht mit einer Fünf-Jahres-Besteuerung zu verwechseln ist. Die Steuer wird nur einmal, und zwar im Jahr des Zuflusses der Abfindung, erhoben.

 

Praxistipp

Durch die Fünftel-Regelung wird der Steuerpflichtige Teil der Abfindung rechnerisch auf fünf Jahre verteilt.
Dies führt in der Praxis immer wieder zu Missverständnissen.
Die Steuer wird nicht über fünf Jahre erhoben, sondern die Steuer wird in dem Jahr fällig, in dem die Abfindung zufließt.

ee) Zwangslage als Voraussetzung für die Fünftel-Regelung

 

Rz. 212

Die Fünftel-Regelung kommt nach der Rechtsprechung des BFH regelmäßig ohne weitere Prüfung der Voraussetzungen des § 24 EstG zur Anwendung (vgl. BFH v.13.3.2018 – IX R 16/17, juris). Voraussetzung für die Anwendung der Fünftel-Regelung ist an sich, dass der Arbeitnehmer bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zwar mitgewirkt haben darf, er jedoch unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druc...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge