Rz. 226
In Zweifelsfällen zur steuerlichen Behandlung von Abfindungen und anderen Leistungen i.R.d. Aufhebungsvereinbarung kann sich die Einholung einer Lohnsteuer- Anrufungsauskunft beim zuständigen Betriebsstättenfinanzamt gem. § 42e EStG empfehlen. Einen Anspruch auf die gebührenfreie Anrufungsauskunft haben sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer (R 42e Abs. 1 LStR). Unter Änderung seiner Rechtsprechung geht der BFH inzwischen davon aus, dass eine vom Arbeitgeber erbetene Anrufungsauskunft ein feststellender Verwaltungsakt i.S.d. § 118 S. 1 AO ist (vgl. BFH v. 2.9.2021 – VI R 19/19, juris Rn 11; BFH v. 2.9.2010 – VI R 3/09, juris Rn 12. Daher kann der Arbeitgeber die ihm erteilte Anrufungsauskunft erforderlichenfalls im Klageweg inhaltlich überprüfen lassen (vgl. BFH v. 30.4.2009 – VI R 54/07, DB 2009, 1682 = BB 2009, 1666).
Rz. 227
Auch zur Bindungswirkung hat der BFH seine Rechtsprechung geändert. Erteilt das Betriebsstättenfinanzamt dem Arbeitgeber eine Lohnsteueranrufungsauskunft, sind die Finanzbehörden im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens an diese auch gegenüber dem Arbeitnehmer gebunden. Das Finanzamt kann daher die vom Arbeitgeber aufgrund einer (unrichtigen) Anrufungsauskunft nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nicht nach § 42d Abs. 3 S. 4 Nr. 1 EStG nachfordern (vgl. BFH v. 17.10.2013 – VI R 44/12). Der Arbeitgeber kann sich auf eine dem Arbeitnehmer erteilte Auskunft berufen und umgekehrt (vgl. BFH, a.a.O).
Rz. 228
Praxistipp
Vorsicht: Die Lohnsteueranrufungsauskunft, so gut sie klingt kann sich gleichwohl als teure Falle für den Arbeitnehmer herausstellen! Keine Rechtssicherheit!
Denn die vorgenannte Entscheidung des BFH vom 17.10.2013 erweckt den Eindruck, als ob mit der Auskunft des Betriebsstättenfinanzamtes für den Arbeitnehmer (endgültige) Rechtssicherheit geschaffen würde, es also zu keiner Steuernachforderung für den Arbeitnehmer später kommen könne. Dies ist aber nicht der Fall, selbst wenn der Arbeitnehmer selbst – und nicht der Arbeitgeber – die Lohnsteueranrufungsauskunft eingeholt hat. Denn die Lohnsteueranrufungsauskunft des Betriebsstättenfinanzamts bindet nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht sein Wohnsitzfinanzamt. Also müsste der Arbeitnehmer, um sich zu schützen, eine verbindliche Auskunft seines Wohnsitzfinanzamts einholen. Darauf hat er aber keinen Anspruch (vgl. BMF-Schreiben v.12.12.2017, BStBl I 2017, 1656 Rn 20). In der Praxis ist dies ein erhebliches Problem. Denn das Wohnsitzfinanzamt kann bei der späteren Einkommensteuerveranlagung einen für den Arbeitnehmer ungünstigeren Rechtsstandpunkt als das Betriebsstättenfinanzamt einnehmen (vgl. Amtliches Lohnsteuer-Handbuch, R 42e Hinweise, S. 559/560).
Rz. 229
Zwar soll sich bei Anfragen eines Arbeitnehmers das zuständige Betriebsstättenfinanzamt mit dessen Wohnsitzfinanzamt abstimmen (R 42e Abs. 1 S. 2 Hs. 2), aber unabhängig davon, ob das Betriebsstättenfinanzamt dies tut oder nicht, tritt nach der in den Lohnsteuerrichtlinien niedergelegten Auffassung der Finanzverwaltung keine Bindung, d.h. keine Rechtssicherheit für den Arbeitnehmer vor späteren etwaigen Nachforderungen des Wohnsitzfinanzamtes, ein. Damit macht diese Soll-Vorschrift keinen Sinn.
Rz. 230
M.E. ist es ein großes und inakzeptables Problem, wenn die Auskunft des Betriebsstättenfinanzamts keine Bindungswirkung für das für den Arbeitnehmer örtlich zuständige Wohnsitzfinanzamt entfalten soll. Gegen eine Bindungswirkung spricht nicht, dass Sinn und Zweck der Lohnsteueranrufungsauskunft gem. § 42e EStG ist, den Arbeitgeber vor finanziellen Risiken zu schützen, die sich aus seiner Verpflichtung zum Lohnsteuerabzug ergeben (vgl. auch BFH v. 16.11.2005 – VI R 23/02, NZA 2006, 362 = DB 2006, 255). Der Arbeitnehmer als wirtschaftlich schwächerer ist nicht weniger schutzbedürftig als der Arbeitgeber.
Rz. 231
Dieser unhaltbare Zustand des Risikos divergierender Entscheidungen zweier Finanzämter in der gleichen Sache ist inakzeptabel und bedarf dringend der Reform, zumindest müsste sich eine Bindungswirkung allgemein aus Treu und Glauben ergeben. Für den Arbeitnehmer bleibt ansonsten nur die Möglichkeit, bei dem für seine Veranlagung zuständigen Wohnsitzfinanzamt eine verbindliche Auskunft gem. § 89 Abs. 2 AO zu beantragen. Dies dauert allerdings meist viel zu lang. Form, Inhalt und Voraussetzungen des Antrages ergeben sich aus der Steuer-Auskunftsverordnung (StAuskV i.d.F. v. 12.7.2017, BGBl I 2017, 2360). Die verbindliche Auskunft ist gem. § 89 Abs. 3 bis 7 AO – anders als die o.a. Lohnsteueranrufungsauskunft nach § 42e EStG – gebührenpflichtig. Beträgt der Gegenstandswert weniger als 10.000 EUR (Bagatellgrenze), wird keine Gebühr erhoben (§ 89 Abs. 5 S. 3 AO). Die Höhe der Gebühr richtet sich nach § 34 GKG. Bspw. beträgt bei einer steuerlichen Auswirkung der Abfindung i.H.v. 20.000 EUR die Gebühr 382 EUR.