Rz. 403
Mit Inkrafttreten des SchuModG zum 1.1.2002 war zunächst heftig umstritten, ob sich durch die Integration des HWiG und des VerbrKrG in das BGB ein Widerrufsrecht des Arbeitnehmers aus §§ 312, 355 BGB n.F. ergeben könnte. In zwei Parallelentscheidungen vom gleichen Tag hat das BAG die Rechtsunsicherheit beendet und klargestellt, dass eine am Arbeitsplatz geschlossene arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarung kein Haustürgeschäft i.S.d. § 312 Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F. ist. Der Arbeitnehmer ist deshalb nicht zum Widerruf seiner Erklärung nach §§ 312, 355 BGB berechtigt. Insb. der Sinn und Zweck des § 312 BGB n.F. sprächen gegen eine Anwendung des Widerrufsrechtes bei arbeitsvertraglichen Beendigungsvereinbarungen (vgl. BAG v. 27.11.2003 – 2 AZR 135/03, NZA 2004, 597 = BB 2004, 1852; bestätigt durch BAG v. 18.8.2005, NZA 2006, 145, 149).
Rz. 404
Die Neufassung der §§ 312 ff. BGB durch das am 13.6.2014 in Kraft getretene "Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung" (BGBl I 2014, 3642) hat nichts daran geändert. Es besteht unverändert kein Widerrufsrecht bei einem am Arbeitsplatz abgeschlossenen Aufhebungsvertrag.
Rz. 405
Fraglich war zunächst, ob der Ausschluss des Widerrufsrechts auch für außerhalb des Arbeitsplatzes geschlossene Aufhebungsverträge gilt. Denn § 312g BGB räumt dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ein Widerrufsrecht ein. Insofern wurde vertreten, dass ein Widerrufsrecht besteht, soweit der Aufhebungsvertrag außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers geschlossen oder dort zumindest entscheidend vorbereitet wird (vgl. mit ausführlicher Begründung Fischinger/Wertmüller, NZA 2016,193). Mit Urt. v. 7.2.2019 hat indes das BAG entschieden, dass auch in diesen Fällen dem Arbeitnehmer kein Widerrufsrecht gem. §§ 355 i.V.m. § 312g Abs. 1, 312b BGB zusteht. Der Anwendungsbereich für diese Vorschrift sei gem. § 312 Abs. 1 BGB nicht eröffnet. Ein Aufhebungsvertrag könne darum vom Arbeitnehmer auch dann nicht widerrufen werden, wenn er in der Wohnung des Arbeitnehmers geschlossen worden ist (vgl. BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18, juris Ls. 1 und Rn 13 ff.).
Rz. 406
Hinweis
1. |
Die Einwilligung zum Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags kann nicht gem. § 355 BGB widerrufen werden. |
2. |
Dies gilt auch, wenn er in der Wohnung des Arbeitnehmers geschlossen wurde. |
3. |
Ein Aufhebungsvertrag ist jedoch unwirksam, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist (s. unten Rdn 445 ff.) |
Rz. 407
Auch der Umstand, dass ein Abfindungsanspruch aus einem Prozessvergleich durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur (wertlosen) Insolvenzforderung wird, begründet kein Rücktrittsrecht des Arbeitnehmers nach § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB (vgl. BAG v. 11.7.2012 – 2 AZR 42/11).
Rz. 408
In einzelnen Tarifverträgen ist allerdings ein Recht des Arbeitnehmers zum Widerruf einer Aufhebungsvereinbarung innerhalb einer bestimmten Frist eingeräumt. In der Praxis spielt dies nur dann eine gewisse Rolle, wenn der Arbeitnehmer überrumpelt wurde und schnell genug auf die meist kurze Widerrufsfrist von ein bis drei Tagen reagiert. Das Widerrufsrecht in Tarifverträgen beginnt regelmäßig unabhängig davon zu laufen, ob der Arbeitgeber den Mitarbeiter auf sein Widerrufsrecht hingewiesen hat oder nicht (vgl. LAG Köln v. 11.4.1990 – 7 Sa 67/90, BB 1990, 2047). Zu beachten ist, dass Widerruf und Anfechtung unterschiedliche rechtsgestaltende Erklärungen sind, die unterschiedlichen Voraussetzungen unterliegen und unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Ist ein Widerruf gewollt, muss die Erklärung hinreichend deutlich machen, dass der Aufhebungsvertrag gerade wegen des Widerrufs nicht gelten soll (vgl. BAG v. 12.3.2015 – 6 AZR 82/14).
Rz. 409
Vertraglich können Rücktritts-/Widerrufsrechte wirksam vereinbart werden.
Hinweis
Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem mit dem Arbeitnehmer zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen Aufhebungsvertrag zur Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, liegt regelmäßig ein gegenseitiger Vertrag vor.
Ein gegenseitiger Vertrag liegt allerdings nicht allein schon deshalb vor, weil eine vergleichsweise Einigung nach § 779 Abs. 1 BGB "im Wege gegenseitigen Nachgebens" erfolgt (vgl. BAG v. 27.8.2014 4 AZR 999/12, juris Ls. 2).
Die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht in der Regel im Gegenseitigkeitsverhältnis zu der Abfindungszusage des Arbeitgebers.
Der Arbeitnehmer kann deshalb nach § 323 Abs. 1 BGB grds. vom Aufhebungsvertrag zurücktreten, wenn der Arbeitgeber die Abfindung nicht zahlt und dem Arbeitgeber ohne Erfolg eine angemessene Frist zur Zahlung der Abfindung gesetzt wurde.
(vgl. BAG v. 10.11.2011 – 6 AZR 357/10, juris)
Erfolgt die Vereinbarung im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses, behält sich recht häufig eine oder auch beide Parteien ein Widerrufsrecht vor. Erfolgt der Widerruf nicht innerhalb der ...