Rz. 413
In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass sich eine Partei nach Abschluss der Aufhebungsvereinbarung davon wieder lösen möchte. Soweit – wie meist – kein Rücktrittsrecht vereinbart ist, kommen die Anfechtung sowie ggf. die Rechtsfigur der Störung der Geschäftsgrundlage oder die Nichtigkeit in Betracht.
I. Anfechtung
1. Arglistige Täuschung (§ 123 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB)
Rz. 414
Ein Anfechtungsrecht des Arbeitgebers wegen arglistiger Täuschung kommt in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die ausdrückliche Frage des Arbeitgebers nach dem Vorliegen eines Anschlussarbeitsplatzes wahrheitswidrig beantwortet und die Abfindungshöhe sodann auf dieser Basis bestimmt wird. Bei Vergleichserörterungen im Kündigungsschutzprozess ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, von sich aus die Tatsache einer Anschlussbeschäftigung zu offenbaren. Die dahin gehende Frage des Gerichtes oder des Arbeitgebers muss er jedoch wahrheitsgemäß beantworten (vgl. LAG Hamm v. 19.5.1994 – 16 (10) Sa 1545/93, LAGE § 794 ZPO Nr. 7 = BB 1994, 2072; a.A. ArbG Rheine v. 25.6.1993, BB 1993, 1810 = EzA § 123 BGB Nr. 38 [Vorinstanz]). Der Arbeitnehmer hat kein Recht zur Lüge (ebenso Lingemann, in: Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann, Kap. 23 Rn 27p). Die Anfechtung der Aufhebungsvereinbarung bzw. des Prozessvergleiches durch den Arbeitgeber ist jedoch eher selten, da der Arbeitgeber regelmäßig an der Rechtsfolge Nichtigkeit der Aufhebungsvereinbarung gem. § 142 BGB nicht interessiert ist. Denn die Konsequenz ist, dass bei einer erfolgreichen Arbeitgeber-Anfechtung zwar die Abfindung entfällt, aber das etwaige Risiko der Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses bzw. des Kündigungsschutzverfahrens zu beachten ist, weil beispielsweise das neue Anstellungsverhältnis bereits in der Probezeit gescheitert ist. Zum Teil wird daher vertreten, dass in einem solchen Fall die Anfechtung nach § 123 BGB verbunden mit einer außerordentlichen Kündigung zulässig sei, wonach der Arbeitgeber weder das Arbeitsverhältnis fortsetzen noch eine Abfindung bezahlen müsse (vgl. Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, Teil A Rn 228). In der Rspr. findet diese Auffassung, soweit ersichtlich, bislang keine Unterstützung. Das OLG Düsseldorf ist der Auffassung, dass der Geschäftsführer einer GmbH i.d.R. nicht verpflichtet sei, bei Verhandlungen über die Aufhebung seines Anstellungsvertrages bislang unentdeckte, zur fristlosen Kündigung berechtigende Verfehlungen zu offenbaren. Das Verschweigen solcher Umstände rechtfertige deshalb grds. nicht die Anfechtung einer Abfindungsvereinbarung und die Rückforderung der Abfindung (OLG Düsseldorf v. 25.11.1999 – 6 U 146/98, GmbHR 2000, 666 = DB 2000, 1656). Macht der Arbeitgeber von seinem Anfechtungsrecht keinen Gebrauch, sondern hält er an der Aufhebungsvereinbarung fest, kann sich ein Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer aus Verschulden bei Vertragsschluss (c.i.c.) mit der Rechtsfolge der Anpassung des Vertrages, speziell der Herabsetzung der gezahlten Abfindung, ergeben (vgl. LAG Hamm v. 19.5.1994 – 16 (10) Sa 1545/93, LAGE § 794 ZPO Nr. 7 = BB 1994, 2072). Möglich und im Einzelfall zweckmäßig kann eine klare Regelung im Aufhebungsvertrag sein, welchen Betrag der Mitarbeiter für den Fall wahrheitswidriger Angaben von der Abfindung zurückzuzahlen hat.
Rz. 415
Der Arbeitnehmer kann die Aufhebungsvereinbarung anfechten, soweit der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung durch arglistige Täuschung veranlasst hat (vgl. BAG v. 11.7.2012 – 2 AZR 42/11; Hoß, ArbRB 2002, 243; Ehrich, DB 1992, 2239). Denkbar ist dies z.B., wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bewusst falsch über den Wegfall des Arbeitsplatzes durch die (angebliche) Vergabe der Tätigkeit des Arbeitnehmers nach außen (an ein Fremdunternehmen) informiert hat oder der Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter teilt wahrheitswidrig dem Arbeitnehmer mit, der Betrieb müsse stillgelegt werden (vgl. BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866 = BB 2007, 1054). Eine Täuschung i.S.v. § 123 Abs. 1 BGB kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war. Das subjektive Merkmal der Arglist liegt vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim Erklärungsgegner entstehen oder aufrechterhalten werden, Fahrlässigkeit – auch grobe Fahrlässigkeit – genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Anfechtende; das es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl. BAG v. 11.7.2012 – 2 AZR 42/11). An der Beweislast scheiterte auch die Klage eines Arbeitnehmers, der behauptete, dass der Geschäftsführer der beklagten GmbH ihn über den Inhalt des Abwicklungsvertrages getäuscht habe, worauf er diese ungelesen unterzeichnet habe (vgl. LAG Niedersachsen v. 27.3.2014 – 5 Sa 1099/13).
Rz. 416
Ausgeschlossen von der Anfechtung ist ein Irrtum, der s...