aa) Auflösungsantrag bei Arbeitnehmern
Rz. 191
Einem weiteren Aspekt kann bei den Verhandlungen z.T. besonderes Gewicht zukommen: Soweit das Gericht in einem etwaigen Verfahren zu der Überzeugung kommen würde, dass die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt ist, kann das Gericht – wenn der Arbeitgeber gleichwohl an der Trennung von dem Arbeitnehmer festhalten will – auf den Auflösungsantrag des Arbeitgebers das Anstellungsverhältnis auflösen. Der Arbeitgeber kann eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG aber nur verlangen, wenn der geltend gemachte Kündigungssachverhalt lediglich nach § 1 KSchG wegen Sozialwidrigkeit zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Es ist aber unschädlich, wenn der Arbeitgeber zusätzliche weitere Kündigungssachverhalte geltend macht, die aus anderen Gründen die Unwirksamkeit der Kündigung begründen (vgl. BAG v. 21.9.2000 – 2 AZN 576/00, DB 2001, 48). Voraussetzung ist ferner, dass der Arbeitgeber Gründe darlegen und beweisen kann, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Dies ist häufig ein kritischer Punkt, da an das Vorliegen dieser Gründe erhebliche Anforderungen zu stellen sind (vgl. BAG v. 24.5.2018 – 2 AZR 73/18, juris Rn 16 ff.; LAG Köln v. 21.9.2020 – 3 Sa 599/19, juris offenkundiger Falschvortrag im Prozess; KR/Kreutzberg-Kowalczyk, § 14 KSchG Rn 51, sehr strenge Anforderungen). Dies folgt daraus, dass das KSchR nach der Intention des Gesetzgebers kein Abfindungsgesetz ist, welches auf die Trennung gegen Zahlung einer Abfindung zielt, sondern vielmehr auf den Bestand des Anstellungsverhältnisses ausgerichtet ist (Bestandsschutzgesetz, vgl. LAG Köln v. 21.9.2020 – 3 Sa 599/19, juris m.w.N.). Letztlich bedeutet dies, dass für den Arbeitgeber unter Umständen das Risiko bestehen kann, den Mitarbeiter trotz Kündigung weiterbeschäftigen zu müssen oder aber den Abfindungsbetrag deutlich erhöhen zu müssen. Insofern ist dies ein weiterer wichtiger Bemessungsfaktor, der vielfach den Abfindungsbetrag in einer Aufhebungsvereinbarung oder einem Prozessvergleich nach oben beeinflusst. Dies gilt gerade bei Aufhebungsvereinbarungen mit älteren Arbeitnehmern, wenn die Chancen auf ein neues Anstellungsverhältnis als gering eingestuft werden müssen. Für diese Arbeitnehmer wiegt der Verlust des Arbeitsplatzes und das Risiko einer Dauerarbeitslosigkeit bis zum Renteneintritt im Verhältnis zu einer an den §§ 9, 10 KSchG bemessenen Abfindung besonders stark. Ein ganz erhebliches "Auflösungsverschulden" kann abfindungsmindernd wirken (vgl. BAG v. 16.12.2021 – 2 AZR 356/21, juris Rn 44; BAG v. 24.5.2018 – 2 AZR 73/18, juris Rn 38
bb) Auflösungsantrag bei Leitenden
Rz. 192
Soweit es sich um leitende Angestellte i.S.d. § 14 Abs. 2 KSchG handelt (vgl. LAG Hamm v. 17.8.2020 – 8 Sa 1271/18, juris; BAG v. 25.11.1993 – 2 AZR 517/93, DB 1994, 1931 = NZA 1994, 837), stellt sich die Situation beim Auflösungsantrag des Arbeitgebers für den leitenden Angestellten ungünstig dar. Denn gem. § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG bedarf der Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses keiner Begründung. Der Antrag des Arbeitgebers ist also immer erfolgreich. Gleiches gilt für Betriebsleiter i.S.d. § 14 Abs. 2 KSchG. Es ist daher genau zu prüfen, ob der Mitarbeiter Betriebsleiter oder leitender Angestellter i.S.v. § 14 Abs. 2 S. 1 KSchG ist. Dabei kommt es nicht auf die Bezeichnung im Anstellungsvertrag an; vielmehr muss der Mitarbeiter tatsächlich eine erhebliche leitende Position innehaben und auch ausüben (KR/Kreutzberg/Kowalczyk, § 14 KSchG Rn 30 ff.). Entscheidende (weitere) wichtige Voraussetzung ist, dass der leitende Angestellte eigenverantwortlich zur "selbstständigen" Einstellung oder Entlassung von einer bedeutenden Anzahl von Arbeitnehmern berechtigt sein muss (vgl. BAG v. 24.3.2011 – 2 AZR 674/09; KR/Kreutzberg-Kowalczyk, § 14 KSchG Rn 36 u. 39). Die nach § 14 Abs. 2 KSchG erforderliche Personalkompetenz muss einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des Angestellten ausmachen und darf nicht "nur auf dem Papier stehen"; sie muss tatsächlich ausgeübt werden (vgl. BAG v. 19.4.2012 – 2 AZR 186/11, juris Rn 39). Dieses Erfordernis gilt nicht nur für leitende Angestellte, sondern auch für Betriebsleiter (vgl. BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 465/99, NZA 2001, 574 = DB 2001, 652). Der Begriff des leitenden Angestellten i.S.v. § 14 Abs. 2 KSchG ist nicht identisch mit dem Begriff des leitenden Angestellten i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG (vgl. zur Abgrenzung BAG v. 8.9.2015 – 9 AZB 21/15, juris Rn 19). Die Definition des leitenden Angestellten im § 14 Abs. 2 KSchG ist durch ihre Typologie enger als diejenige in § 5 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG, LAG Köln v. 10.10.2019 – 6 TaBV 6/19, juris Ls. und Rn 37, Nichtzulassungsbeschwerde verworfen durch BAG v. 13.5.2020 – 7 ABN 104/19, juris).
Rz. 193
Von einer Berechtigung zur "selbstständigen" Einstellung oder Entlassung kann nicht gesprochen werden, wenn sie nur intern, nicht aber auch im Außenverhältnis besteht, und die personelle Maßnahme von der Zustimmung einer anderen Per...