Rz. 219
Allerdings hat der BFH in mehreren Grundsatzurteilen seine enge Rechtsprechung bezüglich der Voraussetzungen für das Vorliegen einer Zusammenballung in mehreren Schritten etwas gelockert. Dies bezieht sich auf eine minimale Teilleistung in einem anderen Veranlagungszeitraum (vgl. BFH v. 8.4.2014 – IX R 28/13; BFH v. 26.1.2011, NZA-RR 2011 = DB 2011, 1025: 2.800 EUR im Verhältnis zu 68.000 EUR; BFH v. 25.8.2009 – IX R 11/09, NJW 2010, 1024 = DB 2009, 2410: 1.000 EUR im Verhältnis zu 76.257 EUR). Der BFH weist darauf hin, dass der Zufluss in einem Kalenderjahr nach dem Wortlaut des § 34 EStG kein gesetzliches Tatbestandsmerkmal ist (vgl. BFH v. 6.12.2021 – IX R 10/21, juris Rn 20). Der Zweck des § 34 Abs. 1 EStG werde trotz Zuflusses in zwei Veranlassungszeiträumen nicht verfehlt, wenn der Steuerpflichtige nur eine geringe Teilleistung erhalten hat und die ganz überwiegende Hauptentschädigungsleistung in einem Betrag ausgezahlt wird (vgl. grds. BFH v. 25.8.2009 – IX R 11/09, NJW 2010, 1024 = DB 2009, 2410 unter Bezug auf Mellinghoff, in: Kirchhof, EStG, § 34 Rn 18). Die Auszahlung einer einheitlichen Abfindung in zwei Teilbeträgen stehe der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ausnahmsweise nicht entgegen, wenn sich die Teilzahlungen im Verhältnis zueinander eindeutig als Haupt- und Nebenleistung darstellen und wenn die Nebenleistung geringfügig ist. Eine Nebenleistung kann unter Berücksichtigung der konkreten individuellen Steuerbelastung als geringfügig anzusehen sein, wenn sie niedriger ist als die tarifliche Steuerbegünstigung der Hauptleistung. Denn müsste unter diesen Umständen die Tarifermäßigung versagt werden, stünde der Steuerpflichtige besser da, wenn er die Teilzahlungen nicht erhalten hätte. Die Teilauszahlung würde (vor Steuern) noch nicht einmal den steuerlichen Nachteil ausgleichen, den sie verursacht hat. Dieses Ergebnis würde zu wirtschaftlich unsinnigen Gestaltungen Veranlassung geben (vgl. BFH v. 13.10.2015 – IX R 46/14, juris).
Rz. 220
Wann eine Teilleistung konkret geringfügig ist, hat der BFH zunächst nicht exakt festgelegt, inzwischen aber deutlich konkretisiert.
Hinweis
1. |
Auch wenn es keine starre Grenze gibt, so steht nach der Rechtsprechung des BFH fest, dass eine Teilleistung von mehr als 10 % nicht geringfügig ist. |
2. |
Bei einer Abfindung von 100.000 EUR beispielsweise könnte einer Aufteilung auf zwei Jahre (Veranlagungszeiträume) i.H.v. 8.000 EUR (Nebenleistung) und 92.000 EUR (Hauptleistung) ohne Steuernachteil erfolgen. |
Der BFH begründet dies damit, dass weder das Gesetz eine starre Grenze vorsehe, noch eine solche die gesetzlich geforderte Prüfung der Außerordentlichkeit im Einzelfall ersetzen könne (vgl. BFH v. 26.1.2011 – IX R 20/10). Fest steht indes nach der Rspr des BFH, dass eine Teilleistung von 10 % nicht geringfügig ist (vgl. BFH v. 8.4.2014 – IX R 28/13, juris, bestätigt durch BFH v. 15.12.2022 – VI R 19/21, juris Rn 26). In der Entscheidung vom 13.10.2015 hat der BFH unter Bezug auf diese Entscheidung vom 8.4.2014 erneut festgehalten, dass der Senat eine geringfügige Nebenleistung dann nicht mehr angenommen hat, wenn sie mehr als 10 % der Hauptleistung beträgt. Gleichzeitig hat der 9. Senat in dieser Entscheidung eine Teilauszahlung im Streitfall in Höhe von 8,87 % der Gesamtabfindung oder 9,73 % der Hauptleistung noch als geringfügige Nebenleistung angesehen (vgl. BFH v. 13.10.2015 – IX R 46/40). Dieser Auffassung hat sich inzwischen auch das Bundesministerium der Finanzen mit BMF-Schreiben vom 4.3.2016, BStBl I 2016, 277 angeschlossen. Danach wird es aus Vereinfachungsgründen nicht mehr beanstandet, eine geringfügige Zahlung anzunehmen, wenn diese nicht mehr als 10 % der Hauptleistung beträgt (vgl. BMF-Schreiben v. 4.3.2016 – BStBl I 2016, 277 Rn 8).