1. Freistellungsklausel im Anstellungsvertrag – Vergütungseinbußen
Rz. 117
In vielen Anstellungsverträgen ist das einseitige Recht des Arbeitgebers vorgesehen, den Arbeitnehmer entweder jederzeit oder nach Ausspruch einer arbeitgeber- oder arbeitnehmerseitigen Kündigung unter Fortzahlung der Bezüge von seinen Arbeitspflichten, ggf. unter Anrechnung des Resturlaubes, freizustellen (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 27.5.2021 – 3 SaGa 1/21 zur Durchsetzung des Anspruchs auf Beschäftigung während der Kündigungsfrist im Wege der einstweiligen Verfügung; s. unten Rdn 122). Die Freistellung kollidiert mit dem Anspruch auf Beschäftigung des Mitarbeiters gem. §§ 611a, 613 BGB i.V.m. § 242 BGB und Art 1 u. Art. 2 GG (vgl. grundlegend BAG v. 27.5.2020 – 5 AZR 247/19, juris Rn 23 und BAG v. 27.2.1985 – GS 1/84, juris; BAG v. 9.4.2014 – 10 AZR 637/13, juris Rn 14; vgl. ferner ausführlich LAG Hamm v. 5.2.2021 – 12 SaGa 1/21, juris Rn 28 sowie LAG Berlin-Brandenburg v. 28.10.2020 – 25 Sa 1105/20, juris Rn 101 ff. tatsächliche Beschäftigung als Chefarzt; LAG Rheinland-Pfalz v. 14.3.2017 – 8 Sa 388/16, juris Rn 32, 33). Seit der Schuldrechtsreform sind bei vorformulierten Arbeitsverträgen Freistellungsklauseln an den §§ 305 ff. BGB zu messen. Freistellungsklauseln in vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsverträgen stellen dann eine unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB dar, wenn es sich um vorbehaltlose bzw. einschränkungslose Freistellungsklauseln handelt (vgl. LAG Hessen v. 20.2.2013 – 18 SaGa 175/13; Steinau-Steinrück, AnwBl. 2008, 90, 92 f.; Ohlendorf/Salamon, NZA 2008, 856). Indes kann nach zutreffender Auffassung der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber durch ein im Arbeitsvertrag vereinbartes Recht des Arbeitgebers zur Freistellung des Arbeitnehmers für den Fall der Kündigung ausgeschlossen werden, wenn die Ausübung des Freistellungsrechts des Arbeitgebers billigem Ermessen i.S.d. § 315 Abs. 3 BGB entspricht (vgl. BAG v. 21.3.2012 – 5 AZR 651/10; LAG Hamm v. 3.2.2004, NZA-RR 2005, 358). Eine AGB-Klausel, die ein Freistellungsrecht des Arbeitgebers nach dem Ausspruch einer Kündigung für die Dauer der Kündigungsfrist vorsieht, ist jedenfalls dann nicht offensichtlich unwirksam, wenn es sich bei dem freigestellten Arbeitnehmer um einen Mitarbeiter in leitender herausgehobener Stellung handelt (vgl. LAG Düsseldorf v. 31.8.2020 – 4 Sa 480/20, juris, Rn 44; LAG Hamm v. 13.2.2015 – 18 SaGa, juris). Das LAG Köln steht ebenfalls auf dem Standpunkt, dass eine Klausel in einem Formulararbeitsvertrag, die festlegt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Fall der Kündigung freistellen darf und dass diese Zeit auf den Resturlaub angerechnet wird, nicht gegen § 307 BGB verstößt. Eine solche Klausel könne auch nicht als überraschende Klausel i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB angesehen werden, und sie verstoße weder gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB noch stelle diese eine unangemessene Benachteiligung gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB dar (vgl. LAG Köln v. 20.2.2006, NZA-RR 2006, 342 = BB 2006, 2137).
Rz. 118
Allerdings verstößt nach Auffassung des LAG Hamm der vertraglich vereinbarte Wegfall der Punkteprämie des Cheftrainers eines Profifußballvereins im Fall einer Freistellung gegen § 308 Nr. 4 BGB, wenn der Anteil der wegfallenden Punkteprämie an der Gesamtvergütung mehr als 25 % betragen kann oder der Wegfall bei jeder Freistellung auch ohne Sachgrund erfolgen soll. Letzteres gilt gem. § 308 Nr. 4 BGB auch für Bestimmungen, die die Herausgabe des Dienstwagens (s. unten Rdn 267 ff.) oder die zeitanteilige Kürzung einer Aufstiegsprämie im Fall der Freistellung vorsehen (vgl. LAG Hamm v. 11.10.2011, NZA-RR 2012, 75 = BB 2011, 2676). Ist mit einem Fußballtrainer für den Fall des Aufstiegs in eine höhere Liga die Zahlung einer Prämie sowie eine Gehaltserhöhung vereinbart, stehen diese Ansprüche auch einem Fußballtrainer zu, der zum Zeitpunkt des Aufstiegs einseitig von der Arbeitsleistung freigestellt war (vgl. AG Krefeld v. 7.2.2019 – 1 Ca 1955/18 Ls).
2. Freistellung ohne Regelung im Anstellungsvertrag
Rz. 119
Ist keine vertragliche Abrede mit dem einseitigen Recht des Arbeitgebers auf Freistellung des Arbeitnehmers getroffen, ist ein Recht des Arbeitgebers zur einseitigen Freistellung zu bejahen, wenn das Interesse des Arbeitgebers an einer Freistellung (Nichtbeschäftigung) das Interesse des Arbeitnehmers an einer Beschäftigung überwiegt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 14.3.2017 – 8 Sa 388/16, juris Rn 38; BAG v. 27.2.1985, DB 1985, 2197 = NZA 1985, 702 Verdacht des Verrates von Betriebsgeheimnissen). Das Recht zur einseitigen Freistellung besteht in der Regel nur bei schweren bzw. schwersten drohenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers, z.B. bei Vermögens- und Eigentumsdelikten, bei Tätlichkeiten, bei (drohenden) Wettbewerbsverstößen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 14.3. 2017 – 8 Sa 3R8/16, juris), oder wenn der Arbeitgeber durch Tatsachen begründet annehmen darf, der Arbeitnehmer habe die ihm übertragenen Aufgaben nicht sorgfältig oder nicht redlich erfüllt und der Arbeitgeber werde dadurch konkret geschädigt (v...