1. Resturlaub in Natur oder Auszahlung – Grundsätze

 

Rz. 144

Soweit nicht der Resturlaub durch die Freistellung abgegolten ist (s.o. Rdn 117 ff.), besteht entweder die Möglichkeit, dass der Arbeitnehmer den restlichen Urlaub in dem Zeitraum bis zur rechtlichen Beendigung des Anstellungsverhältnisses in Natur nimmt (Var. 1) oder aber der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch auszahlt (Var. 2). Die konkludente Festlegung der Urlaubszeit auf den Beginn der Freistellung kann sich aus der Vereinbarung einer Sprinterklausel ergeben (vgl. BAG v. 23.2.2021 5 AZR 314/20, juris Rn 27). Gem. § 7 Abs. 4 BUrlG hat der Arbeitgeber den Urlaub abzugelten, wenn dieser wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann (vgl. BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 844/11, juris Rn 8). Die Auszahlung muss nach Abzug der gesetzlichen Abgaben erfolgen. Der Betrag ist, wie alle Ansprüche, die bis zum rechtlichen Ende des Anstellungsverhältnisses bestehen, nicht steuerbegünstigt (vgl. BFH v. 13.10.1978 – VI R 91/77, DB 1979, 481 = BStBl II 1979, 155). Zu beachten ist, dass etwaige Urlaubsabgeltungsansprüche durch das Entstehen von Urlaubsansprüchen in einem nachfolgenden Arbeitsverhältnis nicht berührt werden (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 16.6.2017 – 4 Sa 7/17, juris Ls. 2 und Rn 46, im Anschluss an BAG v. 28.2.1991 – 8 AZR 196/90, DB 1991, 1987 = NZA 1991, 944). Soweit es sich um den gesetzlichen Mindesturlaub handelt, ist auch ein Erlassvertrag i.S.v. § 397 Abs. 1 BGB nicht möglich. Der (Mindest-)Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3 BUrlG ist gem. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG unverzichtbar (vgl. BAG v. 19.2.2019 – 9 AZR 278/16, juris Rn 17). Anderslautende Vereinbarungen, z.B. durch eine Abgeltungsklausel in einem Aufhebungsvertrag, wonach mit diesem Vertrag alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfüllt seien, sind insoweit nichtig. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch ist nach § 13 Abs. 1 BUrlG unabdingbar (zur Ausnahme s. nachfolgend Rdn 145); etwas anderes gilt nur für Nicht-Arbeitnehmer, wie i.d.R. GmbH-Geschäftsführer (vgl. zu den Ausnahmen oben § 16 Rdn 148) und Vorstandsmitglieder, da das BUrlG nur für Arbeitnehmer gilt (§ 2 BUrlG).

 

Rz. 145

 

Hinweis (Fallkonstellation nach BAG zum Erlöschen des Mindesturlaubs bei einer Ausgleichsklausel)

1. Bei einer Ausgleichsklausel in einem gerichtlichen Vergleich handelt es sich i.d.R. um ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis, welches bei einer Vereinbarung nach Ende des Arbeitsverhältnisses auch etwaige Ansprüche auf Urlaubsabgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs erfasst (vgl. BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 844/11, juris Rn 12 Änderung der Rechtsprechung).
2. Auch europarechtlich sind solche Ausgleichsklauseln bezogen auf den Mindesturlaub zulässig, wenn die Arbeitsvertragsparteien erst "nach" der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Ausgleichsklausel vereinbaren (vgl. BAG v. 14.5.2013 – 9 AZR 844/11, juris Rn 16).

2. Tatsachenvergleich über die Höhe der Urlaubstage

 

Rz. 146

Möglich ist ein sog. Tatsachenvergleich (= Einigung über die Anzahl der noch offenen Urlaubstage). Voraussetzung für einen Tatsachenvergleich ist, dass die Parteien Meinungsverschiedenheiten darüber hatten, wie viele Urlaubstage der Arbeitnehmer tatsächlich bereits erhalten bzw. verbraucht hat (vgl. grundlegend BAG v. 20.1.1998 – 9 AZR 812/96, DB 1998, 1236 = NZA 1998, 816; vgl. ferner BSG v.12.3.2019 – B 13 R 35/17 R, juris Rn 30 Tatsachenvergleich).

3. Berechnung der Urlaubstage – Mitwirkungspflichten – Verjährung

 

Rz. 147

Soweit es um die Auszahlung eines etwaigen Urlaubsanspruchs geht, sind bei der Berechnung der Urlaubs-/Urlaubsabgeltungsansprüchen eine Reihe von (neuen) Besonderheiten aufgrund der aktuellen bzw. geänderten Rechtsprechung des EuGH und des BAG (9. Senat) zu berücksichtigen:

a) Unionsrechtlicher Mindeststandard von vier Wochen Urlaub

 

Rz. 148

Der unionsrechtliche Mindeststandard für Urlaub beträgt gem. Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG vier Wochen. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann das nationale Recht vorsehen, dass auf Urlaubsansprüche, die über den unionsrechtlichen Mindeststandard hinausgehen, Fehltage wegen Arbeitsunfähigkeit ganz oder teilweise angerechnet werden (vgl. EuGH v. 19.11.2019 – C-609/17, C-610/17 TSN). Tariflicher Sonderurlaub, der über den vierwöchigen unionsrechtlichen Mindesturlaub hinausgeht, fällt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts und kann daher allein national bestimmt werden (EuGH v. 4.6.2020 – C-588/18, juris Fetico).

 

Praxistipp

Der unionsrechtliche Mindeststandard für Urlaub beträgt vier Wochen.
Darüber hinaus gehender Urlaub kann national geregelt werden.
Bei Erkrankung bleibt bei einer entsprechenden nationalen Regelung dann nur der gesetzliche Mindesturlaub erhalten.
Gleiches gilt für etwaigen tariflichen Sonderurlaub.

b) Erlöschen des (Teil-) Urlaubanspruchs – Belehrungspflicht über Verfallfristen

 

Rz. 149

Gem. § 7 Abs. 3 S. 1 BurlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen werden bzw. bei möglicher Übertragbarkeit bis zum 31.3. des Folgejahres. Aber: Nach der Rspr des EuGH und des BAG erlischt der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihm zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer ...

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