Rz. 16
Neben der Anknüpfung an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt gem. Art. 21 Abs. 1 EGBGB sieht Art. 21 Abs. 2 EuErbVO die Anknüpfung an eine mögliche engere Verbindung einer Person zu einem anderen Staat als den des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes vor. Dabei ist unbedingt zu beachten, dass es sich hierbei um eine Ausweichklausel handelt, welche nur subsidiär anzuwenden ist. Zu unterstreichen ist dabei die Subsidiarität und die maßvolle, lediglich im Einzelfall gebotene Anwendung des Art. 21 Abs. 2 EGBGB. De facto stellt er nämlich eine Öffnungsklausel aus Art. 21 Abs. 1 EGBGB dar, welcher, freilich gut begründet und belegt, jedes andere Erbstatut möglich macht. Dies war und ist von keinem der Vertragsparteien der EuErbVO gewünscht und führt auch bei nicht restriktiver und subsidiärer Anwendung zu einer Beliebigkeit bei der Bestimmung des Erbstatuts. Richtigerweise wird Art. 21 Abs. 2 EuErbVO also lediglich als Instrument zur Lösung atypischer Einzelfälle angewandt und dient im Ergebnis nur der Wahrung von Stabilitätsinteressen des Erblassers trotz Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes. Als einen möglichen Anwendungsfall wird in den Erwägungsgründen 25 S. 1 aufgeführt, dass eine Person bei fortbestehender starker Bindungen zum vorherigen Aufenthalt ins Ausland zieht und kurzfristig verstirbt.
Rz. 17
Exkurs: mehrere Wohnorte des Erblassers (Altersdomizil)
Hat ein Ausländer in seinem Heimatland ein weiteres Haus und nutzt dieses jährlich über mehrere Monate hinweg durchgehend ohne Rückkehr nach Deutschland, verbunden mit den damit einhergehenden sozialen Kontakten (Familie und Freundeskreis), wird die Bestimmung nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO unter Umständen schwierig. Ungeachtet der damit einhergehenden steuerrechtlichen Brisanz im Bereich der Einkommenssteuer, wird für diese Fälle genau zu recherchieren sein, welchem Land sich der Erblasser effektiv mehr verbunden fühlte. Eine Bestimmung anhand des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes dürfte für diejenigen Fälle schwierig sein, in denen der Erblasser als spanischer Staatsbürger beispielsweise 5,5 Monate in Barcelona und 6,5 Monate in Bonn lebte. Der eigentlich als Ausnahme und Auffangtatbestand gedachte Abs. 2 zu Art. 21 EuErbVO rückt dann schnell in den Mittelpunkt der Prüfung. Im Ergebnis darf es nämlich in diesen Fällen jedenfalls nicht darauf ankommen, wo der Erblasser effektiv verstarb, sondern wo sich tatsächlich der letzte gewöhnliche Aufenthalt befand bzw. in Zweifelsfällen, in welchen anhand objektiver Kriterien nicht feststellbar ist, wo sich sein letzter gewöhnlicher Aufenthalt i.S.d. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO befand, sich die offensichtlich engere Verbindung zum Land offenbart. Denn statt die Prüfung nach Art. 21 Abs. 1 EuErbVO dann ins Beliebige ausufern zu lassen, ist die Ausweichklausel gem. Art. 21 Abs. 2 EuErbVO das geeignete Instrument für die Lösung atypischer Einzelfälle.
Rz. 18
Praxistipp
Ist man als anwaltlicher Berater in dem vorbezeichneten Fall tätig, so sollte man unbedingt auf eine Rechtswahlklausel in der letztwilligen Verfügung von Todes wegen bestehen, wenn man den Eindruck gewinnt, dass der Testator noch sehr eng mit seinem Heimatland verwurzelt ist und sich dort auch seine Familie und damit potenzielle Erben und Pflichtteilsberechtigte befinden. Eine solche Rechtswahl ist zulässig und erspart den Erben jahrelange kostspielige, vor allen Dingen aber ergebnisoffene Prozesse vor Gericht. Sofern es sich im Beratungsfall um Deutsche mit einer intensiv genutzten Ferienwohnung im Ausland handelt, so muss auch für diesen Fall an eine Rechtswahl gedacht werden, insbesondere wenn nicht absehbar ist, ob mit Eintritt des Ruhestandes nicht der Wohnort dauerhaft ins Ausland verlegt wird oder verlegt werden soll. Geht damit nämlich einher, dass im deutschen Inland nichts mehr zurückbleibt, weder Wohnort noch familiäre Beziehungen, so kann eine Aufgabe des inländischen Wohnsitzes angenommen werden.