I. Ausgangslage
Rz. 98
Das Vermächtnis ist Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 Abs. 2 BGB). In der Regel ist der Erbe bzw. sind die Erben Schuldner des Vermächtniserfüllungsanspruchs, wobei Miterben als Gesamtschuldner haften (§ 2058 BGB).
Rz. 99
Außer den Ansprüchen von Vermächtnisgläubigern hat der Erbe möglicherweise auch Ansprüche von Pflichtteilsberechtigten zu erfüllen. Bei der Ermittlung des um Nachlassverbindlichkeiten bereinigten Nachlassbestandes zur Pflichtteilsberechnung werden nach § 2311 BGB Vermächtnisverbindlichkeiten nicht abgezogen. Bei der Pflichtteilsberechnung ignoriert das Gesetz also die Verbindlichkeiten des Erben aus Vermächtnisanordnungen – das ist konsequent, weil der Erblasser sonst durch Vermächtnisanordnungen Pflichtteilsrechte schmälern könnte. Diese "Ungerechtigkeit" gegenüber dem Erben korrigiert das Gesetz wieder in den Vorschriften über das Vermächtniskürzungsrecht der §§ 2318 ff. BGB.
II. Ab wann haftet der Erbe?
1. Vor Annahme der Erbschaft
Rz. 100
Gemäß § 1958 BGB kann eine Nachlassverbindlichkeit vor Annahme der Erbschaft nicht eingeklagt werden; dabei handelt es sich um eine Zulässigkeitsvoraussetzung, die von Amts wegen zu beachten ist. Eine Klage, die dies missachtet, wäre als unzulässig abzuweisen.
Rz. 101
Auf Antrag eines Nachlassgläubigers hat das Nachlassgericht einen Nachlasspfleger zu bestellen, wenn die Erbschaft entweder noch nicht angenommen oder der Erbe unbekannt oder ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat, § 1961 BGB. Dies korrespondiert mit der Vorschrift des § 1958 BGB, wonach vor der Annahme der Erbschaft eine Klage gegen den Erben als unzulässig abzuweisen wäre. Die Klagepflegschaft dient dazu, diesen Zeitraum für einen Gläubiger, der seinen Anspruch gegen den Nachlass geltend machen will, zu überbrücken. Sollte ein Erbscheinsantrag eines Vollstreckungsgläubigers nach § 792 ZPO keinen Erfolg haben, so könnte er ebenfalls die Anordnung einer Klagepflegschaft beantragen. Besonders hinzuweisen ist darauf, dass auch Vermächtnisnehmer Nachlassgläubiger sind und deshalb eine Klagepflegschaft beantragen können, um ihre Ansprüche geltend zu machen.
2. Rechtsstreit gegen den Erben nach Annahme der Erbschaft
Rz. 102
Will sich der Erbe die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf den Nachlass offen halten, so muss er in das gegen ihn ergehende Urteil einen Vorbehalt gemäß § 780 ZPO aufnehmen lassen. Der entsprechende Antrag auf Aufnahme des Vorbehalts ist spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz zu stellen. Wird während des Rechtsstreits Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz angeordnet, so wird der Prozess unterbrochen (§§ 240, 241 Abs. 3 ZPO, § 1984 Abs. 1 S. 3 BGB). Der Nachlassverwalter bzw. Insolvenzverwalter kann den Prozess aufnehmen.
Rz. 103
Kosten des Rechtsstreits: Es entspricht allgemeiner Meinung, dass Kosten eines Rechtsstreits, den der Erbe im Hinblick auf den Nachlass führt, Nachlasserbenschulden sind, und dass deshalb ein Vorbehalt der Beschränkung der Erbenhaftung sich nur auf die Hauptsache, nicht aber auf die Kosten bezieht.
Will der Erbe der persönlichen Haftung wegen der Kosten der gerichtlichen Geltendmachung entgehen, dann bleibt ihm nur der Weg, unter den Voraussetzungen des § 93 ZPO den Anspruch unter Vorbehalt der Beschränkung der Erbenhaftung anzuerkennen.
3. Die aufschiebenden Einreden des Erben gegen den Vermächtnisanspruch
a) Schonfristen für den Erben
Rz. 104
Der Erbe bedarf einer Orientierungsphase in den ersten drei Monaten nach Annahme der Erbschaft (Dreimonatseinrede, § 2014 BGB) und er muss sich Gewissheit verschaffen über die vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten durch das Aufgebot der Nachlassgläubiger (Aufgebotseinrede, § 2015 BGB).
Rz. 105
Solange der Erbe noch beschränkbar haftet (§ 2016 Abs. 1 BGB), gestattet ihm das Gesetz daher
1. |
während der ersten drei Monate nach Annahme der Erbschaft und |
2. |
während eines Aufgebotsverfahrens, |
die Erfüllung von Nachlassforderungen und damit auch von Vermächtnisansprüchen gänzlich zu verweigern, so dass er weder den Nachlass noch sein Eigenvermögen anzugreifen braucht (§§ 2014, 2015 BGB). Allerdings muss das Aufgebotsverfahren binnen eines Jahres nach Annahme der Erbschaft beantragt werden. Im Prozess hindert das zwar nicht seine Verurteilung, aber nur unter dem Vorbehalt der beschränkten Haftung gemäß § 305 Abs. 1 ZPO. Gleichzeitig ist auch der umfassende Antrag gemäß § 780 Abs. 1 ZPO zu stellen.
b) Rechtswirkung des Vorbehalts
Rz. 106
Aufgrund des Vorbehaltsurteils (§ 305 ZPO) kann der Gläubiger gem. § 782 ZPO nur Sicherung verlangen, nicht aber Erfüllung, also nur Pfändung, nicht abe...