Rz. 51
Achtung: Nach Einführung des § 25 Abs. 2a StVG Verschärfung der Rechtsprechung
Die Einführung des Vollstreckungsaufschubs für Ersttäter (§ 25 Abs. 2a StVG) führte dazu, dass bei der Frage, ob und inwieweit wirtschaftliche Nachteile für die Angemessenheit und Vertretbarkeit eines Fahrverbotes überhaupt (noch) von Belang sind, ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen ist (vgl. z.B. OLG Hamm NZV 2002, 140; BayObLG NZV 2002, 143; OLG Bamberg NZV 2018, 290). Das muss bei der Bewertung älterer Entscheidungen mitberücksichtigt werden. Dennoch sind sie für den Verteidiger nicht ganz wertlos, weshalb auch diese älteren Entscheidungen mit aufgeführt werden.
Bei Wiederholungstätern, die z.B. drei gewichtige Verkehrsverstöße innerhalb eines halben Jahres begehen, ist die Anordnung eines Fahrverbotes auch bei Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz geboten (OLG Koblenz Beck RS 2018, 45221; OLG Karlsruhe NZV 2019, 486).
a) Selbstständige
Rz. 52
Der Grundsatz, dass berufliche oder wirtschaftliche Schwierigkeiten als selbstverschuldet hinzunehmen sind (OLG Celle Beck RS 2015, 16403), gilt auch für selbstständig Gewerbetreibende, da andernfalls die Nebenfolge bei bestimmten Berufsgruppen ausgeschlossen wäre (OLG Hamm NZV 2007, 153; NZV 2007, 261). Um einen Ausnahmefall zu begründen, müssen deshalb über die üblichen Schwierigkeiten hinausgehende Umstände vorgetragen werden, zumal Selbstständigen die Aufnahme eines Kredites zur Milderung der mit dem Fahrverbot verbundenen Nachteile grundsätzlich zuzumuten ist (OLG Hamm NZV 2007, 583).
Allerdings bedarf es vor allem bei einem mehrmonatigen Fahrverbot vor einem Verweis auf eine Kreditaufnahme auch bei Selbstständigen einer eingehenden Erörterung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, um sicherzustellen, dass der Betroffene die geforderte Leistung auch ohne Gefährdung erbringen kann (OLG Jena zfs 2011, 473).
Eine Ausnahme ist jedenfalls dann geboten, wenn bei einer durch die besonderen Umstände veranlassten Gesamtschau das Fahrverbot zu einer Existenzgefährdung und damit einer unangemessen harten Sanktion führen würde.
Unter Umständen genügt auch bereits die Gefährdung des Betriebes, wobei dann allerdings eine eingehende Begründung erforderlich ist (BVerfG NJW 1995, 1541; OLG Zweibrücken zfs 1996, 273; OLG Brandenburg DAR 2004, 460; OLG Hamm DAR 2007, 153), so z.B. schon die krisenhafte wirtschaftliche Situation eines Unternehmers, die die häufige und kurzfristige Anwesenheit in räumlich weit voneinander entfernten Zweigniederlassungen erfordert (OLG Stuttgart DAR 1997, 31).
Rz. 53
Beispiele aus der Rechtsprechung
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Existenzgefährdung eines im Ein-Mann-Betrieb selbstständigen Taxiunternehmers, der trotz 34-jähriger Fahrpraxis keine Voreintragungen hat (BayObLG zfs 98, 34). |
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Gering verdienender Handelsvertreter (OLG Dresden zfs 1995, 477; AG Königs Wusterhausen zfs 2001, 39). |
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Selbstständiger Taxi-Alleinunternehmer (OLG Hamm zfs 1995, 315; BayObLG zfs 1998, 35). |
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Kurierdienst-Jungunternehmer (OLG Oldenburg zfs 1995, 34; OLG Braunschweig zfs 1996, 194; AG Fürstenwalde zfs 2000, 228). |
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Selbstständiger Montagetechniker ohne Angestellte (AG Usingen zfs 2000, 227). |
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Kfz-Sachverständiger (AG Arnsburg zfs 2002, 98). |
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Selbstständiger Bauunternehmer mit 25-jähriger unbeanstandeter Verkehrsteilnahme (OLG Düsseldorf zfs 1993, 389). |
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Bauunternehmer mit einem Zwei-Mann-Betrieb (OLG Hamm NZV 1999, 301). |
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Selbstständiger Kraftfahrer, der noch erhebliche Schulden für Anschaffungen hat und mit dem Lkw seinen Lebensunterhalt verdient (OLG Düsseldorf zfs 1996, 356). |
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Inhaber einer Fahrschule (AG Seligenstadt zfs 2002, 409). |
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Existenzgründungsphase eines vom Arbeitsamt unterstützten Betroffenen (AG Wuppertal zfs 2011, 709). |
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Eventuell auch im Falle einer existenzsichernden Nebentätigkeit (AG Lüdinghausen DAR 2013, 402). |
Rz. 54
Achtung: Auswirkungen von Amts wegen zu ermitteln
Zwar braucht der Richter nach allgemeiner Meinung ohne besonderen Anlass nicht der Frage nachzugehen, ob nicht bereits Gründe vorliegen, die einen Regeltatbestand in objektiver oder subjektiver Hinsicht ausschließen. Nach überwiegender Meinung beachtet er den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedoch nur dann ausreichend, wenn er die Angaben des Betroffenen hinterfragt und so die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen und die Auswirkungen eines Fahrverbotes auf dessen Lebensverhältnisse ermittelt (OLG Karlsruhe zfs 2006, 230; OLG Bamberg zfs 2017, 233), wozu spätestens dann Anlass besteht, wenn schon aufgrund der Berufsangaben gravierende Nachteile naheliegen (OLG Köln DAR 2013, 529).
Im Gegensatz dazu sieht das OLG Bamberg (NZV 2014, 98; NZV 2018, 290) das Gericht nur dann zu weiteren Ermittlungen verpflichtet, wenn der Betroffene substantiiert Tatsachen vorträgt, die ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot vertretbar erscheinen lassen.
b) Drohender Arbeitsplatzverlust
Rz. 55
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist von der Verhängung eines Fahrverbotes dann abzusehen, wenn der Betroffene andernfalls seinen Arbeitsplatz verlö...