I. Entwicklung der Rechtsprechung zum Fahrverbot
1. Bis zum Erlass der BKatVO bzw. der BGH-Entscheidung vom 28.11.1991 (zfs 1992, 30)
Rz. 15
Nachdem das BVerfG (NJW 1969, 1623) ursprünglich entschieden hatte, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein Fahrverbot als ultima ratio nur dann zulasse, wenn feststehe, dass der Betroffene auch mit milderen Mitteln, z.B. durch die Erhöhung der Regelgeldbuße und im Wiederholungsfall durch die Verhängung des Höchstbetrages, nicht ausreichend zu verkehrsgerechtem Verhalten angehalten werden könne, billigten die Oberlandesgerichte die Verhängung eines Fahrverbotes selbst in Fällen schwerer Verstöße nur in sorgsam begründeten Ausnahmefällen.
Rz. 16
An dieser Auffassung hielten die meisten Oberlandesgerichte auch noch nach Einführung der BKatVO selbst für den Fall fest, dass eine Katalogtat vorlag (OLG Oldenburg NZV 1991, 37; OLG Saarbrücken NZV 1991, 399).
2. Nach der BGH-Entscheidung vom 28.11.1991
Rz. 17
Der BGH ist mit seiner Entscheidung vom 28.11.1991 (zfs 1992, 30) der Auffassung dieser Oberlandesgerichte mit dem Argument entgegengetreten, die Erfüllung eines der in § 2 Abs. 1 BKatVO genannten Tatbestände indiziere das Vorliegen einer groben oder beharrlichen Pflichtverletzung i.S.d. § 25 StVG und zugleich auch die Verhängung eines Fahrverbotes als angemessene Reaktion auf einen solchen Verstoß.
Rz. 18
Zwar müsse sich der Richter nach wie vor bewusst sein, dass es Ausnahmen von dieser Regel geben könne. Wenn aber keine Anhaltspunkte für einen solchen Ausnahmefall ersichtlich seien, brauche er die Verhängung eines Fahrverbotes nicht mehr eigens zu begründen, nicht einmal mehr, warum selbst mit einer erhöhten Geldbuße anstelle eines Fahrverbotes nicht ausreichend auf den Betroffenen eingewirkt werden könne. Er müsse in den Urteilsgründen lediglich erkennen lassen, dass er sich einer solchen Ausnahmemöglichkeit bewusst gewesen sei.
Rz. 19
Tipp: Urteil muss erkennen lassen, dass Richter sich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bewusst war
Dem haben sich alle Oberlandesgerichte angeschlossen, wobei die meisten ein lediglich formularmäßig abgegebenes Bekenntnis nicht ausreichen lassen. Sie verlangen vielmehr, dass der Richter im Urteil deutlich erkennen lässt, dass er sich der (letztlich vom verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geforderten) Ausnahmemöglichkeit, von der auch wirtschaftlich Schwächere nicht ausgenommen werden dürfen (OLG Hamm NZV 2003, 244; OLG Köln zfs 2004, 88), bewusst war (BayObLG DAR 2000, 222; OLG Naumburg zfs 2001, 382; OLG Rostock zfs 2001, 383; Thüringer OLG zfs 2006, 475; OLG Hamm zfs 2009, 472; OLG Düsseldorf NZV 2010, 263; DAR 2011, 408; OLG Schleswig NZV 2011, 410; OLG Köln DAR 2013, 529; OLG Celle zfs 2015, 413).
Rz. 20
Hierzu reicht z.B. eine Formulierung wie "Das Gericht konnte auch nicht von der Verhängung eines Fahrverbotes absehen. Der Betroffene hat sowohl objektiv als auch subjektiv einen erheblichen straßenverkehrsrechtlichen Verstoß begangen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Betroffene dringend auf eine Fahrerlaubnis angewiesen ist" nicht (OLG Hamm NZV 2001, 222).
Rz. 21
Andererseits soll die Tatsache, dass im Urteil diese Möglichkeit nicht ausdrücklich angesprochen wurde, dann (und wohl nur dann) unschädlich sein, wenn dem Urteil im Übrigen eindeutig zu entnehmen sei, dass der durch das Fahrverbot angestrengte Erfolg durch eine Erhöhung der Geldbuße nicht erreicht werden könne (OLG Hamm DAR 2000, 177; BayObLG DAR 2003, 569).
Das gilt vor allem bei besonders schweren Verstößen (OLG Hamm NZV 2011, 455) wie z.B. einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 60 % (OLG Hamm DAR 2002, 85) oder Alkohol- und Drogenordnungswidrigkeiten gem. § 24a StVG (OLG Hamm DAR 2002, 324).
3. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Rz. 22
Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht gebilligt (zfs 1996, 196; NJW 1996, 1809; NZV 1996, 284). Nach seiner Auffassung bestehen verfassungsrechtliche Bedenken vor allem deshalb nicht, weil der Richter an die Indizwirkung dieser Regelfälle nicht gebunden sei. Ihm bleibe vielmehr Raum, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung des Einzelfalles in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maß abweiche, dass das Fahrverbot unangemessen wäre.
Rz. 23
Deshalb bestünden auch an der Verfassungskonformität der BKatVO und ihrer in § 26a StVG liegenden Ermächtigungsgrundlage keine Zweifel, denn unter diesen Ausgangsvoraussetzungen sei es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, in der BKatVO für bestimmte Einzelfälle eine normative Vorbewertung als typische Fälle grober oder beharrlicher Pflichtverletzung i.S.d. § 25 StVG vorzunehmen.
Rz. 24
Den Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung (NJW 1969, 1623) löst es mit dem Hinweis darauf, dass seine damaligen Erwägungen im Hinblick auf die erhebliche Zunahme der Verkehrsdichte, der Übertretungen und der Unfallzahlen insoweit überholt seien.
II. Subjektives Element als Tatbestandsmerkmal?
Rz. 25
Selbst nach diesen Entscheidungen bestand deshalb immer noch keine endgültige Klarheit, weil die meisten Gerichte die Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbotes bereits dann als gegeben ansahen, wenn auch nur leichte...