I. Allgemeines
Rz. 79
Hinweis
Zu Rotlichtverstößen allgemein siehe oben (vgl. § 23 Rdn 1 ff.).
II. Grober Verstoß
Rz. 80
Das Überfahren einer Ampel nach mehr als 1 Sekunde Rotlicht (wobei die Haltelinie der für die Zeitmessung maßgebliche Punkt ist, Hanseatisches OLG NZV 2010, 42) oder unter Gefährdung anderer stellt regelmäßig einen qualifizierten groben Verstoß dar, der mit einem Fahrverbot geahndet werden muss, wenn nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen (OLG Düsseldorf NZV 1992, 312; OLG Dresden DAR 2002, 522; KG DAR 2014, 395).
Rz. 81
Dabei entlastet, schon im Hinblick auf die in solchen Verkehrssituationen zu fordernde erhöhte Sorgfalt, beispielsweise die Behauptung des Betroffenen nicht, er habe wegen der tief stehenden Sonne die Ampelschaltung nicht gesehen (OLG Hamm NZV 1999, 302) oder er sei durch ein liegengebliebenes Fahrzeug abgelenkt worden (OLG Karlsruhe NZV 2007, 213).
Rz. 82
Achtung: Pflichtwidrigkeitszusammenhang erforderlich
Ein qualifizierter Rotlichtverstoß liegt nur vor, wenn zwischen (einfachem) Rotlichtverstoß und der Gefährdung anderer bzw. dem Unfall ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang besteht, d.h. die Ampelregelung auch den Unfallgegner schützen will, was z.B. für den hinter einer ampelgeschalteten Kreuzung aus einem Grundstück Ausfahrenden nicht gilt (OLG Koblenz zfs 2007, 706), während nach Auffassung des OLG Celle (NZV 2012, 403) der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei einem Unfall mit dem hinter einer Fußgängerampel einmündenden Querverkehr grundsätzlich zu bejahen sein soll. Allerdings ist auch nach seiner Auffassung die Entscheidung, ob ein Fahrverbot verhängt werden muss, von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere wenn der Gegner den Unfall mitverschuldet hat, abhängig zu machen.
Rz. 83
Allerdings muss ein qualifizierter Verstoß nicht immer mit einem Fahrverbot geahndet werden. So stellt z.B. ein nachts im ländlichen Bereich und zu verkehrsarmer Zeit begangener Rotlichtverstoß nicht in jedem Fall eine typische, ein Fahrverbot indizierende Pflichtverletzung dar (OLG Brandenburg zfs 2003, 471). Zum Teil wird ein fahrverbotswürdiger Verstoß auch dann verneint, wenn noch nicht einmal eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bestand, so z.B. weil sie nicht in den geschützten Bereich einfahren durften (KG NZV 2010, 361).
Das BayObLG (zfs 2003, 519) verlangt deshalb bei qualifizierten Rotlichtverstößen in ständiger Rechtsprechung die Prüfung, ob der konkrete Fall Besonderheiten in objektiver oder subjektiver Hinsicht ausweist, die ihn, gemessen an dem vom Verordnungsgeber bei Erlass der BKatVO ins Auge gefassten typischen Begehungsweisen, als Ausnahme erscheinen lassen.
Rz. 84
Achtung: Spurwechsel
Ein grober Verstoß wird namentlich bei einem Spurwechsel angenommen. Das gilt bereits dann, wenn der Betroffene nach Passieren der auf Rot geschalteten Spur auf die durch Grünlicht freigeschaltete andere Fahrspur wechselt (BGH NZV 1998, 119) und erst recht, wenn der Betroffene die Ampel zwar auf der durch Grünlicht freigegebenen Spur passiert, dann aber auf einer durch Rotlicht gesperrten anderen Spur weiterfährt (OLG Zweibrücken NZV 1997, 324; BayObLG DAR 2002, 173; KG NZV 2010, 361).
III. Konkrete Gefährdung nicht erforderlich
Rz. 85
Der Regeltatbestand erfordert grundsätzlich keine konkrete Gefährdung (BayObLG NZV 2003, 351). Allerdings kann von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden, wenn andere Verkehrsteilnehmer nicht konkret gefährdet werden konnten (KG NZV 2016, 442; OLG Zweibrücken zfs 2018, 290 a.A. OLG Karlsruhe zfs 2019, 215).
IV. Beispiele, in denen ein grober Verstoß verneint wurde
1. Gefährdung ausgeschlossen
Rz. 86
Zur Einstufung als Regelverstoß ist zwar eine konkrete Gefährdung nicht erforderlich. War jedoch eine Gefährdung des Querverkehrs geradezu ausgeschlossen, z.B. weil dieser noch nicht in den geschützten Bereich einfahren durfte, wird i.d.R. ein grober Verstoß zu verneinen sein (KG NZV 2010, 361; NZV 2016, 442; OLG Düsseldorf DAR 2015, 215; OLG Bamberg zfs 2016, 50). Andernfalls muss das Urteil dem Rechtsbeschwerdegericht die Beurteilung erlauben, ob das Gewicht der Pflichtverletzung dem Typus des Regelfalles entsprochen hat (BayObLG DAR 1997, 28; zfs 2003, 519), was nach Auffassung des OLG Dresden (DAR 2002, 522) für an Baustellenampeln begangene Rotlichtverstöße, bei denen wegen der Art der Ampelschaltung nicht einmal eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bestand, kaum bejaht werden kann.
2. Baustellenampel
Rz. 87
Ein qualifizierter Rotlichtverstoß wird i.d.R. auch bei einem Anhängen an den Vordermann an einer Baustellenampel ausscheiden (OLG Köln NZV 1994, 41), insbesondere wenn es sich um eine einspurige Baustelle handelt (OLG Hamm NZV 1994, 369; OLG Köln DAR 1994, 249; OLG Düsseldorf NZV 1995, 35; OLG Oldenburg zfs 1995, 75) und der Gegenverkehr nicht gefährdet wird (BayObLG DAR 1997, 28; OLG Dresden DAR 2002, 522; OLG Brandenburg zfs 2003, 471).
Rz. 88
Das ist aber dann anders zu beurteilen, wenn der Betroffene an bereits haltenden Fahrzeugen vorbeigefahren ist (OLG Düsseldorf NZV 2000, 89).
3. Schritttempo zu verkehrsarmer Zeit
Rz. 89
Ein Regelfall wird außerdem bei nächtlichem, zu verkehrsarmer Zeit und mit Schrittgeschwindigkeit begangen...