Rz. 12
§ 315c StGB geht über § 316 StGB hinaus, indem auch die Fahrunsicherheit wegen (anderer) geistiger und körperlicher Mängel unter Strafe gestellt wird.
a) Insbesondere vorübergehende oder dauernde Krankheiten
Rz. 13
Hierhin gehören z.B. Krankheiten, die generell zur Fahrunsicherheit führen (z.B. Erblindung), aber auch vorübergehende Krankheiten (Gipsbein, Gipsarm). Es kommt bei vorübergehenden Krankheiten oder aber bei Erforderlichkeit von Hilfsmitteln (Brille) auf die Beeinträchtigung im konkreten Fall an. Es ist also ähnlich wie bei der relativen Fahrunsicherheit vorzugehen und zu prüfen, ob sich der Mangel im Sinne der Fahrunsicherheit ausgewirkt hat.
Rz. 14
Muster 27.4: Keine Straßenverkehrsgefährdung bei Fahren ohne Brille
Muster 27.4: Keine Straßenverkehrsgefährdung bei Fahren ohne Brille
Es wird durch meinen Mandanten nicht in Abrede gestellt, dass er beim Führen eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich auf die Nutzung einer Sehhilfe wegen Kurzsichtigkeit angewiesen ist. Zutreffend ist auch, dass es am besagten Tag zu einem Verkehrsunfall mit Herrn _________________________ kam und dessen Fahrzeug hierbei erheblich beschädigt wurde (lt. Bl. _________________________ d. Akte 1.500 EUR Nettoreparaturkosten).
Eine Strafbarkeit meines Mandanten gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1b StGB ist gleichwohl nicht gegeben.
Grundsätzlich verbietet sich eine Verallgemeinerung (Gebhardt, Verteidigung in Verkehrsstraf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 8. Aufl., § 39 Rn 3). Anerkannt ist vielmehr, dass jeder Fall individuell zu betrachten ist. Bei Erforderlichkeit von Hilfsmitteln kommt es auf die Beeinträchtigung im konkreten Fall an. Es ist also ähnlich wie bei der "relativen" Fahrunsicherheit vorzugehen und zu prüfen, ob sich der Mangel im Sinne der Fahrunsicherheit ausgewirkt hat (König in: Hentschel/König/Dauer, § 315c StGB Rn 5).
Übertragen auf den hiesigen Fall ist festzuhalten, dass eine Fahrunsicherheit meines Mandanten nicht gegeben war. Der Geschädigte fuhr mit seinem Fahrzeug unmittelbar vor meinem Mandanten und war für ihn aus dieser Instanz gut zu erkennen. Der Geschädigte musste dann wegen eines den Zebrastreifen überquerenden Fußgängers bremsen. Meinem Mandanten gelang es nicht mehr, rechtzeitig zu bremsen, und er fuhr auf das Fahrzeug des Geschädigten auf, wodurch dieses beschädigt wurde. Es handelt sich hierbei um eine typische Unfallkonstellation, wie sie sich alltäglich im Straßenverkehr mehrfach ereignet. Die Tatsache, dass mein Mandant seine Brille vergessen hatte, hat sich jedenfalls gerade nicht kausal auf den Verkehrsunfall ausgewirkt.
Das Ermittlungsverfahren ist einzustellen, was ich hiermit beantrage.
b) Insbesondere Müdigkeit
Rz. 15
Müdigkeit, nicht nur bei Lkw-Fahrern, ist eine häufige Unfallursache. Kommt es aufgrund von Müdigkeit zu einem Verkehrsunfall, so kann hierin unter Umständen eine Strafbarkeit gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1b) begründet liegen.
Rz. 16
Starke Müdigkeit hat einen erheblichen nachteiligen Einfluss auf die psycho-physische Leistungsfähigkeit des Menschen. Dies ist in der medizinisch-naturwissenschaftlichen Forschung unumstritten. Übermüdung hat unter anderem eine Verlängerung der Reaktionszeit, eine erschwerte Einordnungsfähigkeit für neu auftretende Situationen sowie Störungen der Aufmerksamkeitsfähigkeit und des Tiefensehens zur Folge.
Ein Kraftfahrer, kann bevor er am Steuer einschläft, häufig deutliche Zeichen der Übermüdung an sich wahrnehmen. Dies beruht auf der in den berufenen Fachkreisen gesicherten Kenntnis, dass ein gesunder, bislang hellwacher und nicht durch den Konsum von Alkohol oder anderen psychoaktiven Substanzen beeinflusster Mensch nicht plötzlich und ohne Vorwarnungen vom Schlaf übermannt wird. Frühsymptome können z.B. Lidschwere, Sehen von Doppelbildern, Fremdkörperreiz in den Augen o.Ä. sein. Schläft der Betroffene gleichwohl ein, so hat er sich entweder über diese Warnzeichen bewusst hinweggesetzt oder er ist der ihm obliegenden Selbstbeobachtung nicht hinreichend nachgekommen.
Rz. 17
Zur Annahme einer Strafbarkeit ist allerdings erforderlich, dass die Müdigkeit die Schwelle der Fahruntauglichkeit erreicht. Nicht jede Müdigkeit ist daher "strafbar". Dies setzt stets eine Prüfung im Einzelfall voraus. Dies ist der Ansatz der Verteidigung
Rz. 18
Muster 27.5: Keine Strafbarkeit wegen Müdigkeit
Muster 27.5: Keine Strafbarkeit wegen Müdigkeit
Nach Akteneinsicht und Besprechung der Angelegenheit lässt sich mein Mandant wie folgt zur Sache ein:
Meinem Mandanten wird eine fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung zur Last gelegt, weil er aufgrund von Müdigkeit fahruntauglich gewesen sei und deshalb auf das Fahrzeug des Geschädigten auffuhr und einen Schaden in Höhe von 1.500 EUR netto verursachte.
Es mag sein, dass mein Mandant kurzzeitig müde wurde und infolge dessen auf den Pkw des Geschädigten auffuhr. Deshalb war er jedoch nicht fahruntauglich, denn nicht jede Müdigkeit ist "strafbar". Vielmehr ist immer der konkrete Einzelfall zu betrachten (Quarch, SVR 2009, 21...