Rz. 31
Beides ist im Zeitablauf Veränderungen unterworfen: die Immobilie (Zustand und Nutzung) und ihr Umfeld (Lage und Markt). Deshalb ist der Verkehrswert eines Grundstücks begriffsnotwendigerweise eine zeitabhängige Größe.
Während der Wertermittlungsstichtag die maßgeblichen allgemeinen Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt als Grundlage der Wertermittlung definiert, bestimmt der Qualitätsstichtag den der Wertermittlung zugrunde gelegten Zustand des Bewertungsobjektes; im Normalfall entspricht der Qualitäts- dem Wertermittlungsstichtag (§ 2 Abs. 4 und 5 ImmoWertV 2021).
Rz. 32
In manchen Fällen können allerdings aus rechtlichen oder sonstigen Gründen die rechtliche, tatsächliche und sonstige Beschaffenheit des Wertermittlungsobjektes zu einem früheren oder späteren – auch zukünftigen – Zeitpunkt maßgeblich sein, z.B. bei Neubauprojekten der Zustand bei Fertigstellung oder wenn eine Erbin nach dem Erbgang Maßnahmen an der Immobilie des Nachlasses durchgeführt hat, deren Werteffekt ihr allein i.R.d. Bemessung des Wertanteils für Ausgleichszahlungen an andere Erben zugerechnet werden soll; dann könnte bspw. der Qualitätsstichtag der Zeitpunkt des Erbgangs, der Wertermittlungsstichtag hingegen der Tag der Erbauseinandersetzung sein.
Der Wertermittlungsstichtag hingegen kann niemals nach dem Datum der Gutachtenerstattung liegen. Denn es ist nicht möglich, die Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt in der Zukunft mit hinreichender Sicherheit objektiv vorherzusagen, und im Sinne des Gebotes der Marktorientierung bei der Verkehrswertermittlung setzt die Ableitung des Wertes "aus dem Markt heraus" zwingend das Vorliegen von Marktdaten zum Wertermittlungsstichtag voraus. Indessen widerspricht es nicht der Logik des Verkehrswertbegriffes, der Wertermittlung einen vernünftigerweise, d.h. nach konkreten Anhaltspunkten vorhersehbaren, Grundstückszustand der Zukunft zugrunde zu legen.
Der Wertermittlungsstichtag ist nicht notwendigerweise der Tag der Wertermittlung oder Ortsbesichtigung.
Rz. 33
Der Legaldefinition des gemeinen Werts fehlt es an einem expliziten Stichtagsbezug, nicht jedoch dem Grundbesitzwert i.S.d. § 157 Abs. 1 BewG. Erbschaft- und schenkungsteuerrechtlich ergibt sich der Bewertungsstichtag aus dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer, also grundsätzlich dem Todestag bzw. Zeitpunkt der Ausführung der schenkungsweisen Zuwendung (§ 11 i.V.m. § 9 ErbStG).
Rz. 34
Mitunter ergeben sich aus dem Erbrecht besondere Vorgaben zum Wertermittlungsstichtag (z.B. §§ 2055 und 2325 Abs. 2 BGB). Ob und ggf. wie bei Vorausempfängen eine Indexierung auf den Zeitpunkt des Erbfalls vorzunehmen ist, soll hier nicht weiter erörtert werden.
Nach dem Niederstwertprinzip gemäß § 2325 Abs. 2 BGB kommt dem Pflichtteilsberechtigten im Falle eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs eine etwaige Wertsteigerung der Zuwendung seit der Schenkung bis zum Erbfall nicht zugute; umgekehrt treffen ihn aber Wertverluste.
Rz. 35
Wie bereits erwähnt kann ein zeitnah zum Bewertungsstichtag im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielter (Brutto-)Verkaufspreis des zu bewertenden Grundstücks als Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes (§ 198 Abs. 3 ImmoWertV, siehe Rdn 29) bzw. als Indiz für den Wert (siehe Rdn 30) dienen.
Während das BewG als "zeitnah" den Zeitraum innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag bestimmt, und zwar unter der Voraussetzung, dass die maßgeblichen Verhältnisse zwischen Verkauf und Bewertungsstichtag unverändert geblieben sind, kann nach den ErbStR – unter eben dieser Voraussetzung – auch ein Kaufpreis außerhalb dieses Zeitraums als Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes in Betracht kommen.
In der Kommentarliteratur wird betont, dass die Jahresfrist nicht als starrer Zeitraum verstanden werden dürfe und sowohl länger als auch kürzer sein könne. Der akzeptable Zeitraum hänge maßgeblich von der am Bewertungsstichtag herrschenden Dynamik des lokalen Grundstücksmarktes und dem Umfang von Veränderungen im Zustand des gegenständlichen Grundstücks ab. In diesem Sinne hat auch der BGH geurteilt.
Rz. 36
Für die steuerliche Bewertung lässt der Gesetzgeber es genügen, wenn die vom örtlichen Gutachterausschuss bereitgestellten sonstigen für die Wertermittlung erforderlichen Daten aus Kauffällen abgeleitet wurden, die nicht länger als drei (u.U. auch mehr) Jahre vor Beginn des Jahres zurückliegen, in das der Bewertungsstichtag fällt (§ 177 Abs. 2 BewG). Diese allgemeine normative Vorgabe kann im Lichte der vorstehenden Ausführungen als problematisch angesehen werden.