Rz. 361
Wer unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle an einer Zielgesellschaft erwirbt, muss dies spätestens innerhalb von 7 Kalendertagen veröffentlichen (§ 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG). Innerhalb von 4 Wochen nach dieser Veröffentlichung ist der BaFin eine Angebotsunterlage zu übermitteln (§ 35 Abs. 2 Satz 1 WpÜG).
Rz. 362
Die Veröffentlichungspflicht knüpft damit an den Begriff der Kontrolle an. Das Gesetz definiert den Begriff der "Kontrolle" als das (dingliche) Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft (§ 29 Abs. 2 WpÜG).
Hinweis
Bei der Ermittlung der Gesamtzahl der Stimmrechte spielen Hindernisse bei der Ausübung von Stimmrechten keine Rolle. Aktien, bei denen gesetzlich ein Ruhen der Stimmrechte angeordnet ist (§ 44 WpHG, § 59 WpÜG, § 71b AktG), sind demnach bei der Berechnung der 30 %-Schwelle zu berücksichtigen. Dies entspricht der Regelung im WpHG zur Berechnung des meldepflichtigen Stimmrechtsanteils (s.o. Rdn 176).
a) Direktes Halten von 30 % der Stimmrechte
Rz. 363
Einfach gelagert ist der Fall, wenn der Bieter selbst die für einen Kontrollerwerb maßgebliche Anzahl stimmberechtigter Aktien der Zielgesellschaft erwirbt. Auf welche Weise er diese Aktien erwirbt, ist dabei unerheblich. In Betracht kommen etwa:
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Erwerb über die Börse, |
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Paketerwerb außerhalb der Börse, |
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Erwerb aufgrund einer umwandlungsrechtlichen Maßnahme, |
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Erwerb von Todes wegen oder |
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Passive Schwellenberührung(durch Einziehung von Aktien). |
Rz. 364
Ein Kontrollerwerb aufgrund einer umwandlungsrechtlichen Maßnahme ist etwa möglich, wenn der Bieter an einer Gesellschaft beteiligt ist, die mit einer börsennotierten AG im Wege der Verschmelzung zur Aufnahme nach den §§ 2 Nr. 1, 4 ff., 60 ff. UmwG verschmolzen wird und der Bieter als Gegenleistung für seine untergehende Beteiligung Aktien des aufnehmenden Rechtsträgers erhält, die mindestens 30 % der Stimmrechte dieser Gesellschaft vermitteln.
b) Kontrollerwerb durch Zurechnung von Stimmrechten
Rz. 365
Für einen Erwerb der Kontrolle ist es jedoch nicht erforderlich, dass der Bieter die stimmberechtigten Aktien selbst erwirbt. Ausreichend ist es, wenn ihm die Stimmrechte aus Aktien Dritter zugerechnet werden. Eine Ausnahme gilt für Stimmrechte, die zu einem von einer Kapitalverwaltungsgesellschaft verwalteten Sondervermögen gehören, § 29 Abs. 2 Satz 2 WpÜG. Die Zurechnung von Stimmrechten ist in § 30 WpÜG geregelt, dessen Wortlaut der Regelung in § 34 WpHG entspricht.
aa) Verhältnis von § 34 WpHG und § 30 WpÜG
Rz. 366
Der Gesetzgeber hat bei Erlass des WpÜG bewusst eine Angleichung von § 34 WpHG vorgenommen, um Irritationen am Kapitalmarkt durch unterschiedliche Zurechnungstatbestände zu vermeiden. Beide Vorschriften sind daher richtigerweise gleich auszulegen. Dem wird zwar entgegengehalten, dass bei § 30 Abs. 2 WpÜG (Acting in Concert) die einschneidende Rechtsfolge der Angebotspflicht bedacht werden müsse (was für eine eher restriktive Auslegung spreche), während bei § 34 WpHG eine weite Auslegung im Sinne größtmöglicher Transparenz erforderlich sei.
Rz. 367
Die Schwere der Rechtsfolge ist aber kein maßgebliches Kriterium für die unterschiedliche Auslegung zweier gleich lautender Normen, und zwar insb. dann nicht, wenn der gesetzgeberische Wille, unterschiedliche Rechtsfolgen an gleich lautende Tatbestände zu knüpfen, so deutlich zutage tritt wie in der Begründung zum WpÜG und – erneut dezidiert – in der Begründung zum Risikobegrenzungsgesetz. Auch müsste es erhebliche Irritationen am Kapitalmarkt auslösen, wenn jemand bspw. gem. § 34 WpHG den Erwerb einer 50 %-Beteiligung meldet, eine Verpflichtung zur Abgabe eines Angebots i.S.v. § 35 WpÜG aber nicht begründet würde.
Rz. 368
I.Ü. ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der in der Literatur geäußerten Kritik an dem Gleichlauf keinen Anlass gesehen hat, die Vorschrift durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz zu ändern, obwohl die Übernahmerichtlinie den dafür erforderlichen Spielraum eröffnet hätte.