a) Grundsatz des Verhinderungsverbots
Rz. 347
Nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG darf der Vorstand der Zielgesellschaft keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Den Adressaten eines Übernahmeangebots soll damit ermöglicht werden, in Kenntnis der Sachlage durch Annahme oder Ablehnung des Angebots selbst über dessen Erfolg zu entscheiden. Diese Entscheidungsfreiheit würde eingeschränkt, wenn Vorstand und Aufsichtsrat durch eigenständige Entscheidungen den Erfolg des Angebots verhindern könnten.
Hinweis
Die Literatur zu § 33 WpÜG ist äußerst umfangreich. In der Praxis haben feindliche Übernahmeangebote und die damit im Zusammenhang stehende Frage nach der Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen durch den Vorstand bislang nur in Einzelfällen Bedeutung erlangt.
Rz. 348
Eine Maßnahme, durch die der Erfolg eines Angebots ggf. verhindert oder wenigstens erschwert werden kann, ist bspw. eine Kapitalerhöhung bei der Zielgesellschaft. Nach § 32 WpÜG hat der Bieter sein Übernahmeangebot auf alle Aktien der Zielgesellschaft zu erstrecken. Die Ausgabe neuer Aktien verteuert folglich die Übernahme für den Bieter. Hat der Bieter sein Übernahmeangebot von dem Erreichen einer bestimmten Beteiligungshöhe abhängig gemacht, führt die Ausgabe von neuen Aktien zudem dazu, dass der Bieter eine größere Anzahl von Aktien erwerben muss, um die von ihm gewünschte Beteiligungshöhe zu erreichen.
Rz. 349
Der Erfolg eines Übernahmeangebots kann auch durch den Erwerb eigener Aktien durch die Zielgesellschaft verhindert werden, sofern dieser in größerem Umfang erfolgt. Der Erwerb führt aufgrund der verstärkten Nachfrage am Markt zu einem erhöhten Börsenpreis der Aktien der Zielgesellschaft, was die Attraktivität des Übernahmeangebots des Bieters beeinträchtigt, diesen ggf. zu einer Nachbesserung seines Übernahmeangebots zwingt und die Übernahme verteuert. Zudem verringert sich die Anzahl der vom Bieter mit seinem Übernahmeangebot erreichbaren Aktien, was die Chancen einer für den Bieter erfolgreichen Übernahme mindern kann. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass Stimmrechte aus eigenen Aktien nach § 71b AktG ruhen und sich die Stimmmacht des Bieters in der Hauptversammlung trotz unveränderter Annahmequote erhöht.
Rz. 350
Neben diesen Verhaltensweisen sind weitere Maßnahmen denkbar, die geeignet sind, den Erfolg eines Übernahmeangebots zu verhindern. Hierzu zählen z.B. der Verkauf wesentlicher, für den Bieter besonders bedeutsamer Bestandteile des Gesellschaftsvermögens (sog. crown jewels) durch die Zielgesellschaft oder die Schaffung kartellrechtlicher Probleme, etwa durch den Erwerb eines Unternehmens, mit dem der Bieter in direktem Wettbewerb steht (sog. antitrust defense). Die Praxisrelevanz ist allerdings fraglich, ob diese Maßnahmen kaum in der kurzen Zeitspanne durchführbar sind.
b) Ausnahmen von der Neutralitätspflicht
aa) Gesetzliche Ausnahmen
Rz. 351
Von dem Grundsatz der Neutralitätspflicht macht das WpÜG jedoch drei eng umgrenzte gesetzliche Ausnahmen:
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So darf der Vorstand der Zielgesellschaft nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpÜG Handlungen vornehmen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Gesellschaft, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist, vorgenommen hätte. Damit soll der Gesellschaft ermöglicht werden, ihr Tagesgeschäft fortzuführen. Zulässig bleibt es auch, den bereits vor der Bekanntgabe der Übernahmeabsicht begonnenen Erwerb eines Unternehmens außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs fortzuführen, selbst wenn der Erfolg des Übernahmeangebots durch diese Handlung behindert wird (§ 33 Abs. 1 Satz 1 und 2 WpÜG). |
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Zulässig ist zudem die Suche nach einem konkurrierenden Angebot (sog. white knight), da sich das Hinzutreten eines weiteren Bieters positiv auf die Angebotskonditionen auswirkt und daher im Interesse der Aktionäre liegt (§ 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG). |
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Schließlich darf der Vorstand solche Handlungen vornehmen, denen der Aufsichtsrat der Zielgesellschaft zugestimmt hat (§ 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG). |
bb) Hauptversammlungsermächtigung
Rz. 352
Über die gesetzlichen Ausnahmebestimmungen hinaus kann die Hauptversammlung den Vorstand zu Abwehrmaßnahmen ermächtigen, die in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen (§ 33 Abs. 2 WpÜG). Dies kann sowohl anlässlich eines konkreten Übernahmeangebots als auch im Wege eines Vorratsbeschlusses für einen Zeitraum von höchstens 18 Monaten geschehen. Die Handlungen, zu denen der Vorstand ermächtigt wird, sind im Einzelnen zu bestimmen.
Beispiele
In Betracht kommen etwa die Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG), die Ermächtigung zur Du...