Rz. 1
Das Kapitalmarktrecht hat in Deutschland keine einheitliche Kodifizierung erfahren. Regelungen, die an die Börsennotierung einer Gesellschaft oder an sonstige Berührungen einer Gesellschaft oder Person mit dem Finanz- und Kapitalmarkt anknüpfen, finden sich über eine Vielzahl von Gesetzen verstreut. Heute wird das Kapitalmarktrecht stark durch europäisches Recht geprägt, das teilweise unmittelbar anwendbar ist und zum Teil in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die zentrale deutsche Rechtsgrundlage ist nach wie vor das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), in das europäische Vorgaben eingearbeitet werden. Mit der am 3.7.2016 in Kraft getretenen Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) sind weitere tiefgreifende Rechtsänderungen eingetreten. Die MMVO wird von einer Vielzahl von sog. Delegierten Verordnungen und Durchführungsverordnungen auf europäischer Ebene begleitet. Die Rechtslage ist damit erheblich komplexer geworden. Hinzu kommt, dass die MMVO bereits mehrfach geändert bzw. korrigiert worden ist. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieser Auflage läuft ein Reformvorhaben. Mit dem sog. EU Listing Act sollen verschiedene europäische Verordnungen angepasst werden. In der MMVO sind insbesondere Änderungen bei der Ad-hoc-Publizität sowie den Bestimmungen zu Aktienrückkaufprogrammen und Meldepflichten für Eigengeschäfte vorgesehen. Insgesamt ist eine Vereinfachung beabsichtigt. Es bleibt abzuwarten, ob dies mit dem Reformvorhaben erreicht wird.
Deutlich gestiegene Komplexität im Marktmissbrauchsrecht seit Juli 2016
Als unmittelbar geltendes Recht bedürfen sie keiner weiteren Umsetzung in nationales Recht. Die im Marktmissbrauchsrecht durch die reformierte Marktmissbrauchsrichtlinie (CRIM-MAD) geforderten Sanktionen bei Verstößen sind im WpHG umgesetzt worden.
Rz. 2
Von großer Bedeutung für das Kapitalmarktrecht ist das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG).
Rz. 3
Die vorliegende Darstellung versteht sich als Einführung in die Bereiche der MMVO, des WpHG und WpÜG, die aufgrund ihrer Berührung mit dem allgemeinen Aktienrecht in der gesellschaftsrechtlichen Beratung des Anwalts eine zentrale Rolle spielen. In der MMVO sind dies v.a. das Insiderrecht (Art. 7 ff. MMVO) einschließlich der Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO) sowie die Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten bei Eigengeschäften von Führungspersonen (Art. 19 MMVO). Bei der Beratung und Strukturierung des Erwerbs oder der Veräußerung von Beteiligungen an börsennotierten Gesellschaften sind aus anwaltlicher Sicht stets die Bestimmungen des WpÜG im Auge zu behalten, dessen Grundzüge unter Rdn 249 ff. dargestellt werden. Demgegenüber blendet die folgende Darstellung das WpPG sowie die ProspektVO vollständig aus.
Das Ziel des Anlegerschutzes als Vorbedingung für die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts sucht der Gesetzgeber insb. durch zwei Grundsätze zu erreichen, die sich wie rote Fäden durch die MMVO, das WpHG und das WpÜG ziehen: Transparenz und Gleichbehandlung. Während die MMVO und das WpHG diese beiden Grundsätze für das tägliche Kapitalmarktgeschäft festschreiben, ist es das Anliegen des WpÜG, Transparenz und Gleichbehandlung in der nicht alltäglichen Situation eines öffentlichen Übernahmeangebots sicherzustellen.
Rz. 4
Diese ggü. dem allgemeinen Aktienrecht deutlich angehobenen Transparenzanforderungen und Veröffentlichungspflichten sollen es dem Anleger ermöglichen, Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen auf informierter Grundlage treffen zu können. Das ist auch deshalb nötig, weil der Anleger, wenn er Wertpapiere über die Börse erwirbt, seinen Vertragspartner nicht kennt und ihm keine Gewährleistungen oder Garantien im Hinblick auf die Geschäftstätigkeit des betreffenden Unternehmens abverlangen kann. Aus Sicht des veräußernden Anlegers stellt sich die Situation umgekehrt so dar, dass ihm nicht zugemutet werden kann, solche Gewährleistungen oder Garantien abzugeben, da es auch ihm an den erforderlichen Einblickmöglichkeiten in das betreffende Unternehmen regelmäßig fehlt. Das Kapitalmarktrecht löst dieses Dilemma auf, indem es den Emittenten, die den Kapitalmarkt zur Beschaffung von Eigen- bzw. Fremdkapital in Anspruch nehmen, u.a. die vorstehend angesprochenen gesteigerten Veröffentlichungs- und Informationspflichten auferlegt.
Rz. 5
Die Verbesserung der Information und Transparenz für Aktionäre, die von einem öffentlichen Übernahmeangebot betroffen sind und daher eine Desinvestitionsentscheidung treffen müssen, ist auch das erklärte gesetzgeberische Ziel zum WpÜG. Informationspflichten treffen vor diesem Hintergrund zum einen den Bieter, der sich zur Abgabe eines öffentlichen Angebots entschließt oder hierzu kraft Gesetzes verpflichtet ist, und zum anderen die Verwaltung der Zielgesellschaft, die am besten in der Lage ist, die Vor- oder Nachteilhaftigkeit eines solchen Angebots für die Aktionäre zu beurteilen. Des Weiteren ist auch im Übernahmerecht der Gleichbehandlungsgru...