Rz. 379
Nach § 36 WpÜG hat die BaFin in bestimmten Fällen auf schriftlichen Antrag zu gestatten, dass Stimmrechte bei der Berechnung des Stimmrechtsanteils unberücksichtigt bleiben. Rechtstechnisch handelt es sich dabei nicht um eine Befreiung von der Angebots- und Veröffentlichungspflicht nach § 35 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 2 WpÜG, sondern um eine Fiktion, dass der Antragsteller die Kontrollschwelle nicht überschritten hat und deshalb diese Pflichten nicht bestehen. Die Bescheidung des Antrags steht nicht im Ermessen der BaFin, sondern ist bei Vorliegen aller Voraussetzungen für die Nichtberücksichtigung zu erteilen.
Hinweis
Überschreitet der Antragsteller nach positiver Bescheidung des Antrags durch einen nachfolgenden Erwerb von Stimmrechten (unter Außerachtlassung der nach § 36 WpÜG nicht zu berücksichtigenden Stimmrechte) erneut die Kontrollschwelle, führt dies nicht zu einem Kontrollerwerb. Ein mehrfaches Erlangen der Kontrolle ohne zwischenzeitliches Unterschreiten der 30 %-Schwelle ist wegen der Fiktion des § 36 WpÜG zwar theoretisch möglich; eine Angebotspflicht wäre aber nach Auffassung der BaFin nicht sachgerecht.
Rz. 380
In folgenden Fällen ist nach § 36 WpÜG die Nichtberücksichtigung von Stimmrechten durch die BaFin zuzulassen:
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Erbgang, Erbauseinandersetzung oder unentgeltliche Zuwendung unter Ehegatten, Lebenspartnern oder Verwandten in gerader Linie und bis zum dritten Grade oder durch Vermögensauseinandersetzung aus Anlass der Auflösung einer Ehe oder Lebenspartnerschaft (Nr. 1), |
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Rechtsformwechsel (Nr. 2), |
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Umstrukturierung innerhalb eines Konzerns (Nr. 3). |
Rz. 381
In der Praxis hat die Kontrollerlangung wegen einer Umstrukturierung innerhalb eines Konzerns die weitaus größte Bedeutung. Der Tatbestand umfasst auch rechtsgeschäftliche Übertragungen zwischen zwei Tochterunternehmen. Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Konzern" ist auf den aktienrechtlichen Konzernbegriff in den §§ 15–18 AktG abzustellen. Entscheidend kommt es daher darauf an, dass die (mittelbare) Kontrolle vor und nach der Umstrukturierung von derselben Konzernobergesellschaft ausgeübt wird, sodass sich die Umstrukturierung für die außenstehenden Aktionäre der Zielgesellschaft nicht als Kontrollwechsel darstellt.
Rz. 382
Aus Verfahrenssicht ist zu beachten, dass der Antrag nach § 36 WpÜG schon vor Erlangung der Kontrolle gestellt werden kann, sofern der Antragsteller bereits rechtlich existiert. Die Bescheidung des Antrags setzt allerdings nach dem Wortlaut voraus, dass die Aktien durch einen der in § 36 Nr. 1–Nr. 3 WpÜG genannten Tatbestände erlangt wurden. Nach Auffassung der BaFin ist es dem Antragsteller zuzumuten, z.B. vor Durchführung einer konzerninternen Umstrukturierung zu prüfen, ob diese den Anforderungen des § 36 Nr. 3 WpÜG genügt. In Zweifelsfällen ist eine Abstimmung mit der BaFin im Vorfeld ratsam, zu der diese auch grds. bereit ist und häufig weitgehend verbindliche Auskünfte erteilt und somit schon wesentliche Rechtssicherheit ermöglicht
Beispiel
Hält die A-AG 85 % der stimmberechtigten Aktien der börsennotierten B-AG und möchte die A-AG diese Beteiligung nun innerhalb des A-Konzerns an ihre 100 %ige Tochtergesellschaft (C-GmbH) übertragen, kann der Antrag auf Nichtberücksichtigung von Stimmrechten bereits vor der Anteilsübertragung gestellt werden. Er wird durch die BaFin jedoch erst nach Vollzug der Anteilsübertragung beschieden.
Hält die A-AG 85 % der stimmberechtigten Aktien der börsennotierten B-AG und will sich die A-AG nun in Wege eines Formwechsels in eine GmbH umwandeln, kann der Antrag auf Nichtberücksichtigung von Stimmrechten erst nach vollzogenem Formwechsel gestellt und durch die BaFin beschieden werden.