Rz. 15
Eine Information ist nach Art. 7 Abs. 1 lit. a), Abs. 2, 3 MMVO präzise, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits gegeben sind oder bei denen man vernünftigerweise erwarten kann, dass sie in Zukunft gegeben sein werden. Damit wird deutlich, dass bereits existierende Umstände und auch erst zukünftige Umstände als solche eine Insiderinformation sein können.
Rz. 16
Bereits in dem Geltl-Urteil des EuGH wurde festgestellt, dass auch Zwischenschritte eine Insiderinformation sein können: Denn wegen der Signalwirkung bloßer Vorbereitungshandlungen für ein Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden im Hinblick auf eine eventuelle Änderung der Geschäftspolitik des Emittenten kann auch Zwischenschritten ggf. – unabhängig von der Eintrittswahrscheinlichkeit des Endereignisses – eine eigenständige Kursrelevanz zukommen.
Rz. 17
Art. 7 Abs. 2 Satz 2 MMVO bestimmt, dass im Fall eines zeitlich gestreckten Vorgangs, der zu einem bestimmten Ergebnis führt bzw. führen soll, auch die Zwischenschritte in diesem Vorgang eine präzise Information sein können. Art. 7 Abs. 3 MMVO besagt weiter, dass ein sog. Zwischenschritt in einem gestreckten Vorgang eine Insiderinformation sein kann, wenn er für sich genommen die Kriterien der Insiderinformation erfüllt. Dazu muss der als Zwischenschritt im Verhältnis zum ihm vorangegangenen neu ergebende Informationsgegenstand für sich allein genommen zu einer nochmaligen erheblichen Kursbewegung führen können. In diesem Kontext führt Erwägungsgrund 19 MMVO aus, dass alle Schritte eines Vorgangs wie auch der gesamte Vorgang an sich eine Insiderinformation sein können.
Rz. 18
Im Rahmen der Prüfung, ob eine präzise Information vorliegt, ist bei sog. gestreckten Vorgängen zwischen bereits eingetretenen und künftigen Ereignissen zu unterscheiden. Dies führt zu der Notwendigkeit, zunächst den jeweils bereits eingetretenen Umstand dahingehend zu überprüfen, ob er für sich genommen die Kriterien der Insiderinformation erfüllt. Beispielhaft seien hier das Rücktrittsangebot eines Vorstandsvorsitzenden, die Durchführung einer Due Diligence im Rahmen einer M&A-Transaktion oder das Bekanntwerden von Finanzdaten genannt.
Zusätzlich sind auch alle zukünftigen Zwischenschritte einer solchen Prüfung zu unterziehen. Gleiches gilt für das künftige Endereignis. Ein solches zukünftiges Ereignis ist dann als präzise anzusehen, wenn der Eintritt dieses Ereignisses vernünftigerweise erwartet werden kann. Nach Erwägungsgrund 16 MMVO ist dies anzunehmen, wenn anhand der vorhandenen Faktoren zum relevanten Zeitpunkt eine realistische Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Ereignis eintritt.
Informationen, aus denen kein Schluss hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen auf den Kurs des Finanzinstruments gezogen werden kann, wie etwa unverbindliche Gedankenspiele eines Vorstands über mögliches Wachstumspotenzial oder Meinungen, die keine verlässliche Grundlage erkennen lassen, gelten hingegen als unspezifisch.
Rz. 19
Bei der Beurteilung von Zwischenschritten ist laut BaFin grds. zwischen solchen Zwischenschritten, die ihre Qualität als Insiderinformation aus sich heraus beziehen, und solchen Zwischenschritten, die ihre Kursrelevanz (nur) von dem zukünftigen Endereignis ableiten, zu unterscheiden. Bei Letzteren geht die BaFin davon aus, dass ein Kursbeeinflussungspotenzial umso eher anzunehmen ist, je gewichtiger und wahrscheinlicher das Endereignis ist und eine Gesamtbetrachtung nahelegt, dass ein verständiger Anleger bereits diesen Zwischenschritt für sich nutzen würde. Soweit das erstrebte Endereignis noch unwahrscheinlich ist, wird es einem solchen Zwischenschritt regelmäßig am erheblichen Kursbeeinflussungspotenzial fehlen.
Rz. 20
Die Frage, ab wann eine realistische Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines zukünftigen Ereignisses besteht, war Gegenstand des vielbeachteten Verfahrens Geltl gegen Daimler. Im Rahmen der Entscheidung hatte der BGH dem EuGH zwei Vorlagefragen vorgelegt. Der EuGH stellte in dem darauffolgenden Urteil u.a. fest, dass eine "präzise Information" im Sinne der damals geltenden Marktmissbrauchsrichtlinie über ein zukünftiges Ereignis vorliegt, wenn "tatsächlich erwartet werden kann, dass (dieses) in Zukunft existieren oder eintreten wird". Der BGH führte – dem EuGH insoweit folgend – in seinem Beschluss aus, von einer "hinreichenden Wahrscheinlichkeit" i.S.d. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG a.F. sei auszugehen, wenn "nach den Regeln der allgemeinen Erfahrung eher mit dem Eintritt des künftigen Umstands als mit seinem Ausbleiben zu rechnen ist". Hieraus wird gefolgert, dass eine "hinreichende Wahrscheinlichkeit" im vorgenannten Sinne eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ist, d.h. eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 50 % + X. Die h.M. hat die Entscheidung des EuGH, wonach "das Ausmaß der Auswirkung (…) auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente" nicht zu berücksichtigen ist, dahin verstanden, dass er den sogenannten Probability-Magnitude-Test abgelehnt hat.