Rz. 383
Neben der Nichtberücksichtigung von Stimmrechten (vgl. § 36 WpÜG) kommt in bestimmten Fällen eine Befreiung von der Angebots- und Veröffentlichungspflicht in Betracht. Die Befreiung von der Angebots- und Veröffentlichungspflicht auf Antrag bei der BaFin ist in § 37 WpÜG geregelt. Als Befreiungstatbestände kommen in Betracht:
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die Art der Kontrollerlangung, |
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die mit der Kontrollerlangung beabsichtigte Zielsetzung, |
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ein nach der Kontrollerlangung erfolgendes Unterschreiten der Kontrollschwelle, |
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die Beteiligungsverhältnisse an der Zielgesellschaft oder |
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die tatsächliche Möglichkeit zur Ausübung der Kontrolle. |
Hinweis
Auf der Internetseite der BaFin können unter http:\\www.bafin.de in dem Menüpunkt "Publikationen & Daten, Datenbanken, Übersichten nach WpÜG, Veröffentlichte Entscheidungen nach §§ 36, 37 WpÜG (Befreiungen vom Pflichtangebot)" die Befreiungsentscheidungen unter Angabe des Grundes für die Befreiung abgerufen werden.
Rz. 384
Dabei muss in jedem Fall die Befreiung unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers und der Inhaber der Aktien der Zielgesellschaft gerechtfertigt erscheinen. Anders als bei § 36 WpÜG steht der BaFin bei der Entscheidung über die Befreiung nach § 37 WpÜG ein Ermessen zu. Dieses bezieht sich sowohl auf das "Ob" der Befreiung (Entschließungsermessen) als auch auf das "Wie" der Befreiung (Auswahlermessen) und damit insb. auch auf den Erlass möglicher Nebenbestimmungen.
Rz. 385
Die in § 37 Abs. 1 WpÜG generalklauselartig vorgegebenen Befreiungstatbestände werden in § 9 WpÜG-AngebotsVO konkretisiert. Allerdings ist auch der in § 9 WpÜG-AngebotsVO enthaltene Katalog nicht abschließend, sodass neben den dort exemplarisch ("insbesondere") genannten Befreiungstatbeständen im Einzelfall eine Befreiung auf Grundlage der Generalklausel nach § 37 Abs. 1 WpÜG möglich ist.
Rz. 386
Hinweis WpÜG und Squeeze-out
Erwirbt der Bieter von einem oder mehreren Großaktionären (außerbörslich) mindestens 95 % des Grundkapitals der Zielgesellschaft, kann er nach den §§ 327a ff. AktG die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung an sich selbst verlangen (sog. Squeeze-out; s.u. Rdn 389 f.). Obwohl mit dem Squeeze-out ein geordnetes Verfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre zur Verfügung steht, verlangt die BaFin wegen des unterschiedlichen Regelungszwecks des WpÜG und der aktienrechtlichen Squeeze-out-Regeln grds. die Abgabe eines Pflichtangebots und gewährt nur ausnahmsweise eine Befreiung aufgrund der Generalklausel des § 37 WpÜG, wenn nur noch wenige Aktien auf wenige außenstehende Aktionäre verteilt sind (etwa 1 % der Aktien in der Hand weniger Aktionäre). So hat die BaFin in einem Fall eine Befreiung nach § 37 WpÜG gewährt, in dem der Hauptaktionär 99,82 % der Aktien hielt und sich die verbleibenden 0,18 % der Aktien auf ca. 300 Minderheitsaktionäre verteilten.
Rz. 387
Der bei der BaFin zu stellende Antrag kann bereits vor Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gestellt werden. Er muss spätestens innerhalb von 7 Kalendertagen nach dem Zeitpunkt eingehen, zu dem der Bieter Kenntnis von der Kontrollerlangung hat oder nach den Umständen haben musste (§ 8 WpÜG-AngebotsVO).
Weitere verfahrensrechtliche Vorschriften u.a. zum Antragsinhalt und zu den beizufügenden Unterlagen finden sich in den §§ 10–12 WpÜG-AngebotsVO. Aus Gründen der Rechtssicherheit für den Bieter ist es ratsam, den Antrag bereits vor der Kontrollerlangung zu stellen. Allerdings befasst sich die BaFin mit dem Antrag nur dann, wenn ein Sachbescheidungsinteresse nachgewiesen werden kann, d.h. es muss hinreichend wahrscheinlich sein, dass es tatsächlich zu einer Kontrollerlangung kommt.
Hinweis
Der Schwerpunkt der Befreiungsverfahren liegt in der Praxis seit jeher auf der sog. Sanierungsbefreiung (§ 9 Satz 1 Nr. 3 WpÜG-AngebotsVO).