Rz. 106
Gem. §§ 97 Abs. 4, 98 Abs. 4 WpHG bleibt eine weitergehende Haftung des Emittenten jeweils unberührt, sodass dieser ggf. vertraglich oder insb. deliktisch haften kann. Die Diskussion kreist in diesem Zusammenhang v.a. um § 826 BGB, der als Anspruchsgrundlage sowohl ggü. den handelnden Organmitgliedern des Emittenten als auch über die Zurechnungsnorm des § 31 BGB ggü. der Gesellschaft in Betracht kommt. Richtungsweisend im Hinblick auf eine Haftung nach § 826 BGB waren die Entscheidungen des BGH in Sachen "Infomatec", "EM.TV" und "Comroad". Die Rspr. hat in diesen Entscheidungen eine deliktische Haftung der handelnden Organmitglieder bzw. über § 31 BGB der Gesellschaft gem. § 826 BGB bejaht, da die vorsätzliche unlautere Beeinflussung des Kapitalmarkts durch die Veröffentlichung bewusst unwahrer Ad-hoc-Mitteilungen als verwerflich und sittenwidrig anzusehen sei, sodass ein Ausgleich der auf diese Weise bei den einzelnen Marktteilnehmern verursachten Vermögensschäden geboten erscheine. Für den Vorsatz der handelnden Personen genügt dabei ein Eventualvorsatz; eine Schädigungsabsicht ist mithin nicht erforderlich. Bisher nicht abschließend entschieden ist die Frage der Sittenwidrigkeit unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen.
Rz. 107
Hinsichtlich der Kausalität kommen dem Kläger nach der einschlägigen Rspr. keine Beweiserleichterungen zugute, da sich die zur Prospekthaftung entwickelten Grundsätze über den Anscheinsbeweis bei Vorliegen einer Anlagestimmung nicht ohne Weiteres auf eine Deliktshaftung nach § 826 BGB für falsche Ad-hoc-Mitteilungen übertragen ließen. Auf den Nachweis des Kausalitätszusammenhangs kann nach der "Comroad"-Rspr. selbst dann nicht verzichtet werden, wenn die Kapitalmarktinformation extrem unseriös gewesen ist. Nach der Rspr. existieren bei der Veröffentlichung von Ad-hoc-Mitteilungen keine verlässlichen und verallgemeinerungsfähigen Erfahrungssätze über die Dauer einer Anlagestimmung, sodass die Beweislast insofern beim Kläger verbleibt. Ein an die "fraud-on-the-market"-Theorie angelehntes Anknüpfen an das enttäuschte allgemeine Anlegervertrauen in die Integrität der Marktpreisbildung hätte – so der BGH – eine uferlose Ausweitung der Haftung zur Folge.
Rz. 108
Der zu ersetzende Schaden beschränkt sich nicht auf den Kursdifferenzschaden, sondern umfasst nach Wahl des Anlegers auch die Rückerstattung des Kaufpreises gegen Rückgabe der Wertpapiere oder gegen Anrechnung des Verkaufserlöses. Während in der Vergangenheit die Rechtsfolgen des § 826 BGB über die der §§ 97, 98 WpHG hinausgingen, besteht nach der "IKB"-Entscheidung des BGH insoweit ein Gleichlauf. Bereits vor Erlass dieser Entscheidung wurde im Bereich des § 826 BGB die Überbürdung des allgemeinen Kursrisikos mit der fehlenden Schutzbedürftigkeit des Emittenten gerechtfertigt, da diesem der Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu machen ist und dem Anleger – ebenso wie im Rahmen der Ansprüche aus §§ 97, 98 WpHG – zudem der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität obliegt. Im Hinblick auf die Haftung des Emittenten ist von Bedeutung, dass der Schadensersatzanspruch der Anleger Vorrang vor den Grundsätzen der Kapitalerhaltung der §§ 57 Abs. 1, 71 ff. AktG genießt.