aa) Regelungsrahmen der Übernahmerichtlinie
Rz. 353
Die Übernahmerichtlinie sieht in Art. 9 Abs. 2 eine strenge Neutralitätspflicht für den Vorstand der Zielgesellschaft vor, die sich nach Art. 9 Abs. 6 auch auf den Aufsichtsrat erstreckt.
Hinweis
In der Praxis hat die Möglichkeit des Opt-in – soweit ersichtlich – keine Bedeutung erlangt. Vielmehr haben die börsennotierten Gesellschaften unverändert an dem ursprünglichen Regime des § 33 WpÜG festgehalten.
Zusätzlich sieht Art. 11 der Übernahmerichtlinie für Übernahmesituationen ein Außerkraftsetzen sämtlicher übernahmerechtlicher Übertragungs- und Stimmrechtsbeschränkungen vor (sog. Durchbrechungsregel), um insb. die Geltung des "one share one vote"-Prinzips in Übernahmesituationen sicherzustellen. Aktuell gibt es verschiedene gesetzgeberische Initiativen auf europäischer Ebene und auf deutscher Ebene, Mehrstimmrechtsaktien wieder zuzulassen.
Rz. 354
Da die strenge Neutralitätspflicht verbunden mit der Durchbrechungsregel jedoch politisch nicht allgemeinverbindlich durchsetzbar war, enthält Art. 12 der Übernahmerichtlinie eine Öffnungsklausel, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, Gesellschaften mit Sitz in ihrem Staatsgebiet von der Neutralitätspflicht (Art. 9) und der Durchbrechungsregel (Art. 11) zu befreien (sog. Opt-out).
bb) Opt-out durch den deutschen Gesetzgeber
Rz. 355
Von dieser Option hat der deutsche Gesetzgeber i.R.d. Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes Gebrauch gemacht. Die in § 33 WpÜG zugestandenen Abwehrmaßnahmen im Übernahmefall sind daher unverändert bestehen geblieben. Dies war nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers geboten, weil die Übernahmerichtlinie kein level playing field, d.h. keine gleichen Ausgangsbedingungen für Unternehmensübernahmen in den verschiedenen Staaten, schafft. Sie beseitigt nicht die Unterschiede hinsichtlich der Verteidigungsmöglichkeiten gegen Übernahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie im Verhältnis zu Drittstaaten. Die Umsetzung des EU-Verhinderungsverbots und der Durchbrechungsregel hätte daher nach Auffassung des Gesetzgebers eine Benachteiligung deutscher Unternehmen ggü. ausländischen Unternehmen zur Folge gehabt, sofern diese nach ihrem Recht über weitergehende Abwehrmechanismen verfügen.
cc) Opt-in durch die Gesellschaft
Rz. 356
In Übereinstimmung mit Art. 12 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie wird es deutschen Zielgesellschaften in § 33a WpÜG jedoch ermöglicht, durch Regelung in der Satzung freiwillig das strengere EU-Verhinderungsverbot anzuwenden (sog. Opt-in).
Macht die Gesellschaft von der Möglichkeit des Opt-in nach § 33a Abs. 1 WpÜG Gebrauch, dürfen Vorstand und Aufsichtsrat einer Zielgesellschaft gem. § 33a Abs. 2 WpÜG keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Dies gilt weiterhin nicht für:
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Handlungen, zu denen die Hauptversammlung den Vorstand oder Aufsichtsrat nach Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots ermächtigt hat (Nr. 1), |
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Handlungen innerhalb des normalen Geschäftsbetriebs (Nr. 2), |
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Handlungen außerhalb des normalen Geschäftsbetriebs, sofern sie der Umsetzung von Entscheidungen dienen, die vor der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots gefasst und teilweise umgesetzt wurden (Nr. 3) und |
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die Suche nach einem konkurrierenden Angebot (Nr. 4). |
Rz. 357
Abweichend von der Regelung in § 33 Abs. 2 WpÜG ist es damit nach einem Opt-in nicht mehr möglich, dass die Hauptversammlung den Vorstand im Wege eines Vorratsbeschlusses zu Abwehrmaßnahmen ermächtigt. Des Weiteren darf der Vorstand Abwehrmaßnahmen nicht mehr lediglich mit Zustimmung des Aufsichtsrats ergreifen. Angesichts der Tatsache, dass Vorratsbeschlüsse der Hauptversammlung in der Praxis keine Rolle spielen, ist der Hauptunterschied zwischen der gesetzlichen Regelung in § 33 Abs. 1 WpÜG und der Situation der Zielgesellschaft nach einem Opt-in die nicht mehr bestehende Möglichkeit, allein mit Zustimmung des Aufsichtsrats Abwehrmaßnahmen zu treffen.
Hinweis
Macht die Gesellschaft zusätzlich zum Opt-in nach § 33a WpÜG von der Möglichkeit eines Opt-in nach § 33b Abs. 1 WpÜG Gebrauch, werden satzungsmäßige und vertragliche Übertragungsbeschränkungen von Aktien, Stimmbindungsverträge und Mehrstimmrechte im Übernahmefall wirkungslos.