Rz. 26
Für die Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung kommt es gem. Art. 7 Abs. 4 MMVO darauf an, ob ein verständiger Anleger die fragliche Information wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Entscheidung nutzen würde, wenn sie ihm bekannt wäre. Das Merkmal der Erheblichkeit stellt dabei sicher, dass nicht jeder Umstand, der zu einer geringfügigen Preisbewegung führen kann, als Insiderinformation einzustufen ist. Für jedes Finanzinstrument ist die Auswirkung der Information unter Berücksichtigung der jeweiligen üblichen Schwankungsbreite zu beurteilen. Aus der Sicht eines verständigen Anlegers, der zum Zeitpunkt seines Handelns alle verfügbaren Informationen kennt, ist vielmehr zu prüfen, ob die Kenntnis des in Rede stehenden Umstands i.S.e. Kauf- oder Verkaufsanreizes lohnend ist und einen wirtschaftlichen Vorteil verspricht. Nach Ansicht der BaFin bezieht ein verständiger Anleger darüber hinaus alle Besonderheiten des Einzelfalles mit ein, würdigt also in einer Gesamtschau auch, in welcher Marktsituation sich das in Rede stehende Unternehmen befindet und – soweit er es beurteilen kann – wie andere Marktteilnehmer auf die tatsächliche, aktuelle Situation reagieren würden.
Rz. 27
Der EuGH hat in der Geltl-Entscheidung festgestellt, dass ein verständiger Anleger nicht nur die mögliche Auswirkung der Information auf den Kurs, sondern auch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintretens des Ereignisses berücksichtigen würde. In der Folge ist im Schrifttum weiter streitig, ob die Probability-Magnitude-Formel bei dem Tatbestandsmerkmal der Kurserheblichkeit zu berücksichtigen ist.
Rz. 28
Für die Kurserheblichkeit ohne Relevanz ist nach dem Lafonta-Urteil des EuGH, ob vorhersehbar ist, in welche Richtung sich der Kurs bei Bekanntwerden entwickeln wird. Damit genügt bereits eine erhebliche Volatilität des Kurses für die Bejahung der Kurserheblichkeit.
Rz. 29
Maßgeblich für die Beurteilung der Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung ist der Zeitpunkt der möglichen Insiderhandlung und damit eine ex ante Sicht. Insofern kommt es auf eine spätere tatsächliche Kursbewegung nicht an. Vielmehr reicht es aus, dass es aus der Perspektive eines vernünftigen Anlegers wahrscheinlich erscheint, dass es zu einer erheblichen Kursbeeinflussung kommen kann. Allerdings können nach Bekanntwerden der Insiderinformation tatsächlich eingetretene Kursveränderungen als Indiz für ein bereits zuvor gegebenes Kursbeeinflussungspotenzial herangezogen werden. Nach Erwägungsgrund 15 MMVO sollen solche ex post Betrachtungen für sich allein jedoch keine Maßnahmen gegen eine Person begründen können, die ex ante vernünftige Erwägungen angestellt hatte. Damit dürfte sich ein Insider mit dem Argument verteidigen können, dass er die Eigenschaft als Insiderinformation trotz umfassender Würdigung und einer strengen Sorgfaltsprüfung fehlerhaft eingestuft hat. Eine juristische Bewertung des Merkmals der Kurserheblichkeit ist häufig äußerst schwierig, da es insbesondere auf die Markterwartung ankommt, die auch von weiteren Faktoren, wie z.B. der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung oder der Entwicklung der Branche, abhängt, wovon der (externe) Rechtsberater nur selten Kenntnis hat. So wird eine Information, die der Markt nicht erwartet, insbesondere, wenn deren Inhalt als besonders vor- oder nachteilig erachtet wird, einen erheblichen Einfluss auf den Kurs haben. Darüber hinaus sind bei der Beurteilung, ob eine Information kurserheblich ist, weitere Faktoren zu berücksichtigen, die den Kurs des jeweiligen Finanzinstruments beeinflussen könnten, u.a. die Marktkapitalisierung, das Kurs-Gewinn-Verhältnis, die Volatilität des Aktienkurses und die Unternehmensstruktur.
Hinweis
Nachträglich eingetretene Kursveränderungen veranlassen die BaFin in der Praxis regelmäßig zu Untersuchungen, ob der Emittent seiner gesetzlichen Verpflichtung zur unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen im Wege der Ad-hoc-Publizität pflichtgemäß nachgekommen ist. Eine genaue Dokumentation der vorgenommenen Prüfung ist daher empfehlenswert.
Rz. 30
Neben den Informationen über das betreffende Unternehmen selbst wird der Kurs eines Finanzinstruments auch von der Verfassung des Gesamtmarkts oder der Branche sowie weiteren Faktoren wesentlich geprägt. Allgemeingültige Schwellenwerte sind daher ausgeschlossen.
Die BaFin empfiehlt zur Beurteilung des Kursbeeinflussungspotenzials eine zweistufige Prüfung:
In einem ersten Schritt ist zu fragen, ob der Umstand für sich allein betrachtet im Zeitpunkt des Handelns des (potenziellen) Insiders (ex ante) nach allgemeiner Erfahrung ein erhebliches Kursbeeinflussungspotenzial haben kann.
In einem zweiten Schritt sind dann im Zeitpunkt des Handelns vorliegende oder absehbare konkrete Umstände zu berücksichtigen, die das Kursbeeinflussungspotenzial erhöhen oder mindern können.
So kann bspw. bei einer erheblichen Gewinnsteigerung von 50 % das Kursbeeinflussungs...