Dr. Jessica Hanke, Katja Schmitz
1. Typische Sachverhalte
Rz. 92
Herr Sorglos wendet sich an den gewerblichen Autohändler Günstig und kauft dort einen gebrauchten Pkw, den er nur für private Zwecke nutzen will. Nach vier Monaten bleibt der Pkw – nach kurzem Aufleuchten der Motor-Management-Kontrollleuchte – unvermutet stehen. In der Werkstatt wird ein Defekt des Katalysators festgestellt, der auf ein Aufsetzen des Fahrzeugs zurückzuführen ist. Dem Kaufvertrag zufolge soll der Pkw nur Lackschäden erlitten haben und teilweise nachlackiert worden sein. Herr Sorglos wünscht eine Reparatur.
Rz. 93
Frau Schmitt kauft im Baumarkt Handwerksfreund rund 50 qm Feinsteinzeugfliesen für ihre Terrasse. Nach dem Prospekt des Baumarktes sollten die Fliesen frostsicher sein und der Abriebklasse 5 zugehören. Kurze Zeit nach dem Verlegen der Fliesen traten Abplatzungen an der Oberfläche der Fliesen auf. Frau Schmitt verlangte von der Handwerksfreund GmbH Nacherfüllung einschließlich Ersatz der Ein- und Ausbaukosten. Die Handwerksfreund GmbH bestreitet den Mangel.
Rz. 94
Familie Herz kauft von Herrn Bell, der eine Hundezucht betreibt, einen etwa zwei Monate alten Labrador-Retriever für 800 EUR. Nach zwei Monaten zeigen sich bei dem Tier erste Hüftbeschwerden, die auf einen angeborenen Hüftschaden zurückgehen und deren vollständige Heilung nicht möglich ist. Familie Herz, die den Hund lieb gewonnen hat, will ihn nicht zurückgeben. Sie befürchtet, Herr Bell werde den Hund dann einschläfern lassen. Angesichts der hohen zu erwartenden Tierarztkosten entschließt sich Familie Herz, zumindest den Kaufpreis zu mindern. Herr Bell lehnt die Minderung jedoch unter Berufung auf den vertraglichen Haftungsausschluss ab.
Rz. 95
Herr Guck kauft von der Sat-GmbH einen Fernseher Samsung LCD zu einem Preis von 1.200 EUR. Ausweislich des Kaufvertrags handelt es sich bei dem Gerät um "Geprüfte B-Ware", für die 24 Monate Gewährleistung gegeben wird. Nach ca. fünf Monaten stellt Herr Guck fest, dass sich das Bild des Gerätes massiv verschlechtert. Er wendet sich zur Geltendmachung von Nachbesserungsansprüchen an die Sat-GmbH, die aber mitteilt, dass ein völlig einwandfreies Gerät geliefert worden sei. Nach einem weiteren erfolglosen Schreiben erklärt Herr Guck gegenüber der Sat-GmbH per Einschreiben mit Rückschein den Rücktritt vom Kaufvertrag und gibt Gelegenheit zur Rücknahme des Gerätes. Die Sat-GmbH lehnt eine Rückabwicklung ab.
Die Betroffenen suchen jeweils anwaltlichen Rat.
2. Rechtliche Grundlagen
Rz. 96
Die §§ 474–479 BGB enthalten besondere Regeln für Kaufverträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern. Diese Sonderregeln setzen diejenigen Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie um, die für sonstige Kaufverträge nicht passen und daher in den §§ 433 ff. BGB noch keine Berücksichtigung fanden.
a) Anwendungsbereich
Rz. 97
Nach der Legaldefinition des Verbrauchsgüterkaufs in § 474 Abs. 1 BGB muss als Verkäufer ein Unternehmer und als Käufer ein Verbraucher beteiligt sein. Die §§ 474 ff. BGB gelten also nicht für Kaufverträge zwischen Verbrauchern und auch nicht, wenn der Verbraucher als Verkäufer und der Unternehmer als Käufer am Kaufvertrag beteiligt ist. Ein Verbrauchsgüterkauf setzt außerdem eine kausale Verknüpfung zwischen der unternehmerischen Tätigkeit als solcher und dem in Rede stehenden Geschäft voraus. Davon ist z.B. nicht auszugehen, wenn der Verkäufer eines Gebrauchtwagens Bistrobesitzer ist. Liegt ein Verbrauchsgüterkauf vor, finden die besonderen Regelungen der §§ 474–479 BGB ergänzend zu den allgemeinen Vorschriften der §§ 433–473 BGB Anwendung. Die Beweislast für das Vorliegen eines Verbrauchsgüterkaufs trägt der Käufer.
Täuscht der Käufer dem Verkäufer einen gewerblichen Verwendungszweck der Kaufsache vor, ist ihm die Berufung auf die Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf verwehrt. Dies gilt auch, wenn der Kaufvertrag durch einen Unternehmer als Strohmann geschlossen wird.
Agenturgeschäfte sind im Gebrauchtwagenhandel als Umgehungsgeschäfte anzusehen, wenn der Gebrauchtwagenhändler bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Verkäufer des Fahrzeugs anzusehen ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Händler das wirtschaftliche Risiko des Verkaufs zu tragen hat, indem er etwa dem Verkäufer einen Mindestpreis garantiert. Der BGH tendiert in dieser Konstellation zur Fiktion eines Vertrags zwischen dem Gebrauchtwagenhändler und dem Käufer. Auch für andere Vertragsgestaltungen gilt: Schiebt ein Unternehmer als Verkäufer einen Verbraucher vor, um die Sache unter Ausschluss der Mängelhaftung zu verkaufen, richten sich die Mängelrechte des Käufers gegen den Unternehmer – dieser muss sich so behandeln lassen, als hätte er selbst den Kaufvertrag abgeschlossen.